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Marmelade und Alpenglühen

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Auf dem Bauemkongreß in Wien anfangs Oktober wurde klar ausgesprochen, daß man mit Berichten über Marmeladeeinkochen ln den Massenmedien keline Agrarpolitik machen kann. Man gehet dort somit bereits einen Schritt weiter zur Selbsterkenntnis, daß unsere Landwirtschaft nicht verbessert werden könne, wenn man nicht den nötigen Kontakt mit den Massenmedien pflegt. Das war schon ein Bekenntnis zum Kontakt und eine Absage an das Unterspieden. Mit belanglosen Belangsendungen ist kein modernes Weltbild zu gewinnen.

Wie es der Fremdenverkehr treibt, oder treiben muß, ist bekannt. Manifeste über die unzulängliche Förderung des Fremdenverkehrs im Aushang in den Gaststätten dem ausländischen Gast vorzuführen ist ebensowenig eine richtige Ansprache wie Trabtorendemonstrationen zur Behinderung des Fremdenverkehrs oder Werbemittel für den gesamten österreichischen Fremdenverkehr in der Höhe des Umsatzes einer größeren Greißlerei. Das bescheidene Begnügen mit dem Anblick der Alpen, die im normalen geographischen Unterricht der meisten Länder ihre Werbewirkung entfalten, dürfte nicht ausreichen, eine sichere Wirtschaftsbasis zur ständigen Deckung des Milliardendefizits im Außenhandel zu begründen. Etwas persönlichere Kontakte werden notwendig sein, bescheidenes Beiseitestehen verkauft sich schlecht, zumindest im Fremdenverkehr.

Das Köstlichste ist die Österreich- Woche. In den sieben Tagen dieser Woche bemüht man sich, dem öster-reicher klarzumachen, daß seine Leistung nicht die schlechteste ist. Zwar ist im Laufe eines Jahrhunderts bekannt geworden, daß die Nähmaschine und die Schreibmaschine in Österreich erfunden wurden und die älteste Technische Hochschule der Welt in Wien steht. Man nimmt sogar zur Kenntnis, daß der Luster im Belgrader Parlament, der größte der Welt, ebenso in Österreich hergestellt wurde wie die persische Krönungs- kutsühe. Man weiß, Tiroiler Stitmöbel sind in der ganzen Welt genau so gefragt wie Tiroler Zuchtvieh, österreichische Mähdrescher werden in Lizenz in der Türkei fabriziert. Die ganze Welt bezieht Spezialmaschinen für den Eisenbahngleisbau aus Linz.

Trotzdem sagt man zu Hause: „typisch österreichisch“, wenn ein Artikel nicht den Ansprüchen genügt. Unterspielung? Witz? Selbstironie? In der Welt der Wirtschaft ist solche zynische Selbstverleugnung Selbstmord. Selbstironie ist kein Handelsartikel. Kaufen Sie, sehr geehrter Herr Österreicherin einem Geschäft, das die eigenen Warenschlechtmacht? Kaum, selbst wenn Sie wissen, daß der Kaufmann ein Witzbold ist. Wirtschaft verträgt nur positiven Witz. Man verkauft nur gut, wenn man selbst überzeugt ist, daß die Ware gut ist. Und man muß den anderen überzeugen. Man muß mit ihm reden. Man benötigt Kontakt. Man versucht es in der Österreich- Woche nun seit Jahren, dem eigenen Hause klarzumachen, daß die Wirtschaft kein verspieltes Theater ist mit Glossen im Kaffeebaus. Wirtschaft ist Existenzkampf. Man kann und man soll ihn durchaus fair führen, aber man muß selbst überzeugt sein.

Schnellzug —. immer langsam voran

Ist dias Reden so schwer? Der Kontakt so kompliziert? Seit jüngster Zeit führen die österreichischen Bundesbahnen einen besonders schnellen Städtezug von Wien nach Frankfurt am Mlaiin. Die deutschen Fahrgäste bewundern diesen Zug als Produkt deutscher Wertarbeit, es setzt sie in Erstaunen, daß er auch nach Österreich fährt. Daß es ein österreichischer Zug ist, kommt ihnen nicht in den Sinn. Es würde nicht viel kosten, das kundzutun. Es würde sich bloß um die Anbringung einiger Aufschriften und Embleme am Zug selbst handeln. Die österreichischen Bundesbahnen erklären sich dazu außerstande, weil die Reinigung dieser Embleme zuviel Aufwand erfordert. Man unterspielt. Das „ö“ reicht nicht aus. um unsere Leistung bekanntzumachen. Man müßte mehr tun. Die österreichische Werbewirtschaft gibt angeblich zwei Milliarden im Jahr aus. Milliarden im Dienste von Kontakten — Kontakten für Waren, aber merkwürdigerweise nicht Kontakten für Österreich.

Das Problem ist ernst Es handelt sich nicht um eine Richtlinie für Werbebüros und Handelsagenten, sondern um die Daseinsfrage Österreichs am letzten Drittel des 20. Jahrhunderts. Es geht um die Anpassung der österreichischen Wirtschaft an die technische Entwicklung der jüngsten Zeit. Man verkauft heute andere Diinge als am Anfang des Jahrhunderts und als vor 100 Jahren. Und man verkauft sie in einer Massengesellschaft auf einem internationalen Markt in vielen Sprachen, an viele Völker und viele Kulturen. Wir sind angewiesen auf das Geschäft mit dieser neuen Welt, wenn wir selbständig existieren wallen. Das aber bedeutet, diese vielfältige Welt auf dem großen Markt des ganzen Globus anzusprechen. Die berühmte Zurückhaltung, die so viele ausländische Studenten in Österreich zur Klage über Einsamkeit veranlaßt, ist nicht mehr brauchbar. Es ist klar, daß eine Änderung des gegenwärtigen Zustandes eine Wesensänderung Österreichs wäre. Derartige Umformungen sind nicht leicht und greifen an den Kern des inneren Wesens. Aber die Umbildung ist erforderlich, sonst können wir nicht mehr leben, sondern werden gelebt. Und was das bedeutet, haben wir schon einmal erlebt.

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