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Mode als Stil

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„Wertbeständige Mode“ — ist das nicht ein Widersinn? Denn diese beiden Begriffe schließen einander doch aus! Das Wort Wertbeständigkeit ist zu großer Volkstümlichkeit gelangt in den unsicheren Jahren, wo jeder das viele überschüssige Geld in Besitztümer umzusetzen versuchte, die von der erwarteten Entwertung nicht berührt werden konnten. Mode aber lebt doch gerade von des Augenblicks Gnaden; und daß morgen nicht sein wird, was gestern war, macht ihr Wesen aus.

So aber scheint es nur im Augenblick. Nach ein paar Jahren, wenn fluchI Ige Einfälle und Zufälligkeiten hinweggespült sind, ist aus der Mode ein Stil geworden; und abermals nach einer weiteren, größeren Spanne, wenn die Nachfahren vor Bildern stehen, worauf die Mode der vergangenen Zeit als Bestandteil von Portrait oder Komposition so dargestellt ist wie d;r Künstler sie sieht: das Wesentliche betonend und von Fachkenntnis unbeschwert — dann erkennen sie einen Ausdruck jener Zeit in dem, was eine aller Logik entbehrende Laune schien, da es neu war.

Es liegt also in der Mode, die man ein Nebenprodukt der Kultur nennen könnte, ein wertbeständiges Element — liegt knapp unter der Oberfläche oder tiefer verborgen, je nach der Wesensart des Ortes. ?us dem sie erwächst. In Paris zum Beispie! ist die deckende Schicht, welche Aktualität und Geschäftsgeist, Einfallsreichtum, Luxus und Sensationsmächerei darüber legen, sehr hoch und dicht. Dort, im Mekka der Novitätenjäger, ist die Mode genau das, als was man sie zu seW?n gewohnt ist. Dem Wiener Modeschaffen hingegefl machen die Anbeter der „Nouveaute“_Jen Vorwurf, allzu konservativ zu sein. Und sie ahnen nicht, welch bedeutendes Positivum gerade hierin liegt, denn sie sind sich nicht bewußt, daß dauernder Erfolg nur dem Echten beschieden sein kann. Das Mousseux der Pariser Mode hat Erfolg, weil es echt ist — dem Wesen dieser glitzernden Stadt entsprungen. In Wien ist das Ungesuchte und natürlich Gewachsene heimisch; hier erfindet man die Mode nicht, sondern man läßt sie wachsen, und in dieser allmählichen Entwicklung überwindet sie die sonst zeitlich bedingte Distanz zum Stil in ich selbst. Darum ist es eigentlich fa'sch, von einer Wiener Mode zu sprechen. Richtiger müßte man sagen: Wiener Stil.

In diesen auf eine höhere Plattform gehobenen Begriff ist natürlich nicht alles cin-zubezichen, was in Wien auf dem Gebiete der Mode geschaffen wird. Das Streben nach Internationalität führt gewiß auch vielfach zu anerkennenswerten Resultaten; was aber in der' ganzen Welt als tvpisch. wienerisch betrachtet und geschätzt wird, ist nicht das Pariser Modell mit Wiener Note, sondern das Urwiener Jerseykleid, die Strickware, die Bluse, das Trachtenmodell. Diesen Erzeugnissen des Wiener Stils, aus der Geschmacksrichtung unserer Frauen geboren, unserem Boden entwachsen, durch unsere Handwerkskunst zur Blüte gebracht, war seit je der große Exporterfolg beschieden, in ihnen hat sich die Durchschlagskraft des Echten bewiesen.

Fleute, wo die Aufmerksamkeit nicht nur der beteiligten Kreise, sondern der weitesten Öffentlichkeit sich auf den Export als lebenswichtigen Wirtschaftsfaktor richtet, ist es von Bedeutung, sich klarzumachen, daß die Exportchancen der Wiener Mode dort liegen, wo sie sich selbst am treuesten bleibt und jene Eigenschaften herausstellt, worin sie unerreichbar ist: die Feinheit des Materialgefühls, den Farbensinn, den Detailgeschmack, die handwerklich präzise Ausführung und jene besondere, an das konr servative, bescheidene, aller Talmiwirkung abholde Wien gebundene Fähigkeit, die modische Anregung zu vertiefen und in ihrer Verfeinerung bis zu jenem Punkt vorzudringen, wo die Mode aufhört, glitzernder, flüchtiger Einfall zu sein und Stil geworden ist. So ein ganz und gsfr aus dem edlen Material heraus gestaltetes Strickkostüm, so ein Jerseykleid in dem prachtvoll selbstverständlichen Schwung seiner sportlich herben Kontur, so eine Bluse mit all der köstlichen Feinheit von Haarsäum-chen, Valenciennespitzen und Durehbruch-stickerei — das kann man morgen tragen, wie man es gestern getragen hat, denn es steht über der Tagesparole der Mode: e ist wertbeständig.

Wo sonst in der Welt wird wertbeständige Mode geschaffen?' Die lebendige Volkstracht, durch die Läuterung von Generationen gegangen, um von der Mode (denn auch Tracht war zu ihrer Entstehungszeit Mode!) zum Stil zu gelangen, gibt dazu die einzige Parallele; und es ist kein Zufall, daß auch sie nirgends so wie bei uns in breiten Schichten beheimatet ist, ja daß hier sogar das Pendel zurückschwingt — vom Stil, zur Mode, zu unserer ur österreichischen Trachtenmode.

Und es ist kein Zufall, daß die Nachfragen auf der Exportmusterschau nur den Spitzenleistungen auf dem Gebiet von Jcrsev und Strickware. Blusen und Trachtenmode galten, sondern die befriedigende Bestätigung dafür, daß wir richtig „liegen“, daß wir recht hatten, als wir uns von dem zum überspitzt Modischen einerseits und zur Industriealisierung anderseits drängenden Berlin nicht von unserem Weg abbringen ließen, sondern uns selbst treu blieben. Und treu bleiben müssen wir uns fernerhin, wenn wir wieder in den Konkurrenzkampf des Weltmarktes eintreten und Höchstleistungen dessen schaffen wollen, worin wir unschlagbar sind — der wertbeständigen Mode.

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