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Neues aus der Fischer-Bibliothek

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DER FELSEN DES ZWEITEN TODES. Roman. Von William G o I d i n g. S.-Fischer-Verlag, Frankfurt am Main 1960. 175 Seiten. Preis 2.20 DM.

DIE ERBIN. Roman. Von Henry James. S.Fischer-Verlag, Frankfurt am Main 1960. 195 Seiten. Preis 2.20 DM.

Es ist dem S.-Fischer-Verlag zu danken dafür, daß er in einer wohlfeilen deutschen Erstausgabe einen Roman von William G o 1 d i n g herausgebracht hat und damit breiten Leserkreisen die Möglichkeit der Begegnung mit diesem großartigen englischen Autor gibt. Schon der erste Roman Goldings, „Herr der Fliegen“, fand viel Widerhall in seiner Heimat und große Beachtung auch beim deutschsprachigen Leserpublikum. In dem neuen Buch wird die in jenem Roman geschilderte Situation — der Versuch des Überlebens einer während des ersten Weltkrieges auf eine unbewohnte Insel im Pazifik verschlagene Gruppe englischer Schüler — noch härter und unerbittlicher abgewandelt. Im „Felsen des zweiten Todes“ konfrontiert Golding uns mit den letzten Tagen eines schiffbrüchigen englischen Seeoffiziers, der, auf einen Felsen mitten im A'it'k geschwemmt, ejnen von vornherein aussichtslosen Kampf gegen den Toi führt. Intelligenz und Will, nicht aufzugeben, die Christopher Martin bewußt und überlegt einsetzt, erlahmen langsam; es fehlen alle Voraussetzungen zur Erhaltung des nackten Lebens; Krankheit und Nahrungsmittelvergiftung stellen sich ein. Die furchtbare Einsamkeit, das „Ausgesetztsein“ im ganz ursprünglichen Sinn führen zu Angst und Wahnvorstellungen. Das Gefühl der Identität geht Martin mehr und mehr verloren, die Realität gerät ins Schweben. Der Kampf gegen den Wahnsinn, der da vergebens gekämpft wird, ist noch schrecklicher als der um das nackte kreatürliche Dasein. Und dann wird da in quälenden „Bildauszügen“ die Vergangenheit vor dem inneren Auge Martins lebendig: „Wegen dessen, was ich getan habe, bin ich ausgestoßen und allein . . .“ Golding schildert das alles mit einer fast unerträglichen Konsequenz und Härte, mit einer grausamen Präzision, stellt radikal die Frage nach dem metaphysischen Sinn des Lebens und eines solchen Sterbens. Die grenzenlose Leidensfähigkeit des Menschen wird qualvoll gegenwärtig. Die absolute Bedrohung durch das Nichts gewinnt hier Gestalt, und das ist wahrlich erregender, als wenn über sie philosophiert wird. Das Buch widersetzt sich jeder nur ästhetischen oder erhisetien Wertung, denn dieser Autor stößt vor in die Mitte menschlichen Existierens.

Welch eine Kluft zwischen dieser Art von Literatur und dem psychologischen Roman um die Jahrhundertwende! Henry James gehört gewiß zu den hervorragendsten angelsächsischen Vertretern dieser Romangattung. Das hier vorliegende Buch „Die Erbin“, obwohl eines seiner Frühwerke (es erschien 1881), ist vollendet in formaler Hinsicht, die Handlung von einer inneren Geschlossenheit, wie sie kein zeitgenössischer Autor mehr zu erreichen vermag. Vollkommen sind auch die Details: die exakte Seelenanalyse der Gestalten, die genaue, geschliffene Sprache, in der jedes Wort, jeder Gedanke ausgefeilt, prägnant und richtig dasteht. Und doch — wie fremd ist uns diese in Konventionen erstarrte Welt des fin de siede geworden, wie wenig bewegen uns ihre jeder impulsiven oder gar ursprünglichen Reaktion unfähigen Menschen. Daß James in solcher Atmosphäre ein geheimes Drama im Leben seiner Heldin aufzuspüren und zu entwickeln vermag, ist allein schon hohe Kunst. Er erzählt die Geschichte eines unscheinbaren, reichen Mädchens, das einem Mitgiftjäger auf den Leim geht und, schließlich von ihm verschmäht und von seinem wohlmeinenden, aber harten Vater innerlich vergewaltigt, auf den Trümmern seiner verlorenen Vergangenheit mit sehr viel äußerer Haltung sein weiteres Leben „absolviert“, möchte man sagen.

„Catherine wurde eine bewunderungswürdige alte Jungfer. Sie legte sich Gewohnheiten zu. regelte ihre Tage auf persönliche Art, interessierte sich für wohltätige Einrichtungen, Asyle, Spitäler und Hilfsgemeinschaften, und ging im allgemeinen mit regelmäßigen und unhörbaren Schritten dem starren Tagwerk ihres Levens nach. Dieses Leben hatte jedoch neben seiner öffentlichen auch eine geheime Geschichte .. . Von ihrem Gesichtspunkt aus waren die großen Tatsachen ihrer Laufbahn die, daß Morris Townsend mit ihrer Neigung gespielt und daß ihr Vater das Triebwerk zerbrochen hatte. Nichts konnte je diese Tatsachen ändern, sie waren immer gegenwärtig.. . Nichts konnte je den Tort ungeschehen machen oder den Schmerz heilen, den Morris ihr angetan hatte, und nichts konnte je veranlassen, daß sie für ihren Vater das empfand, was sie in jüngeren Jahren für ihn empfunden hatte. Etwas war tot in ihrem Leben, und es war ihre Pflicht, die Leere irgendwie aufzufüllen ...“

James schilderte diese Geschichte hervorragend, mit sicherem Gefühl für subtile innere Geschehnisse, mit leiser Ironie auch gegenüber den teils doch ein wenig abwegigen Reaktionen und Entscheidungen der Beteiligten. Aber, eben die Geschichte selbst, die in dieser Form sehr zeitbedingt ist — Ausdruck leer gewordener und damit sinnloser gesellschaftlicher Konventionen — vermag den heutigen Leser nicht mehr anzurühren.

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