Schatten2 - © Bild: Rainer Messerklinger / dall·e / Prompt: 90s photo of hands doing shadow play

Peter von Matt: Das vollkommene Ganze

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Oliver vom Hove über den Roman "Übeltäter, trockne Schleicher, Lichtgestalten" von Peter von Matt.

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Oliver vom Hove über den Roman "Übeltäter, trockne Schleicher, Lichtgestalten" von Peter von Matt.

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Auch Bewährtes von Peter von Matt ist bewahrenswert. So versammelt der Band mit dem amüsanten Titel „Übeltäter, trockne Schleicher, Lichtgestalten“ ein gutes Dutzend neuer Aufsätze, Reden, Nachworte, die der renommierte Schweizer Germanist zu verschiedenen Anlässen und an unterschiedlichen Orten bereits öffentlich gemacht hat.

Dennoch wird für den Leser unschwer ein innerer Zusammenhalt erkennbar, der durch die Persönlichkeit des Autors, seine stets spürbare Entdeckerleidenschaft und die exquisite Stilkunst garantiert ist. Die eindrucksvolle literarische Bildung und weit über sein Fach hinausreichende Belesenheit sind ein verlässlicher Kompass für die schwungvollen Ausfahrten des 86-jährigen Literaturforschers in unbekannte Deutungsgewässer. So untersucht er etwa die komische Wirkung der Dummheit in den verschiedenen literarischen Gattungen. Er schwärmt von der „mächtigen Entfaltung der Spannweite und Vieltönigkeit der deutschen Sprache“, die sich beispielsweise in den Shakespeare-Übersetzungen zeigt. Und er bedauert, dass Nestroy und Grillparzer außerhalb Österreichs kaum gespielt werden (über Grillparzer hat er einst dissertiert).

Die Beiträge sind eine Mischung, die nur ein erfahrener und beherzter Geist sich zumuten kann. Die erlauchte Gästeschar bei der Eröffnung der Salzburger Festspiele 2012 konfrontierte der Festredner von Matt ausgerechnet mit der Frage: „Darf es denn überhaupt Kunst geben, den Überfluss schlechthin, solange es Menschen gibt, denen es an Brot und Früchten und sauberem Wasser fehlt?“ Und gab gleich selbst die Antwort: „Tatsächlich ist es so, dass in allen Kulturen die Verschwendung mehr ist als ein zynischer Luxus der Besitzenden oder ein Einschüchterungsritual der Herrschenden. Sie ist ein Glücksfaktor für alle.“ Denn: „Die Kunst und das Fest treffen sich im Akt der Verschwendung“, und beides wird, begründet im gesetzlosen Kern der Kunst, „ein Ereignis der Freiheit“.

Im Titelessay geht der Autor auf den oftmals prekär gewordenen Umgang der Öffentlichkeit mit der Wissenschaft ein. Bis in die Wahlergebnisse hinein schlägt sich spätestens seit Corona eine dumpfe Wissenschaftsskepsis nieder. „Offenbar provoziert der Wissenschaftler die Menschen schon durch seine bloße Existenz“, bemerkt von Matt. „Zu dem illusionären System, das die Klischees über die Wissenschaft insgesamt bilden, gehört auch die Ahnungslosigkeit darüber, wie rasch Volk und Regierung bereit sind, gegen Wahrheiten vorzugehen, die nicht wahr sein dürfen.“

Das vollkommene Ganze, von dem die Menschheit seit jeher träumt, vermag die in viele Einzeldisziplinen geteilte Wissenschaft nicht zu erfüllen. Es muss sich daher in Mythen, Märchen, Sagen Ausdruck verschaffen: „Die Menschen wollen die Deutung des Ganzen, und diese ist nur im Mythos möglich. Auf die Erzählungen vom innersten Zusammenhalt aller Dinge können sie nicht verzichten“, schreibt er. Die lustvollen Betrachtungen über Literatur, Theater, Musik und das alltägliche Leben kommen, wie bei von Matt gewohnt, ganz ohne professorale Gravitas daher. Sie sind anregend wie kräftige Schlucke belebenden Kaffees aus feinen Moccatassen.

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