6615970-1955_31_11.jpg
Digital In Arbeit

Rache, Glaube, Liebe

Werbung
Werbung
Werbung

Eine natürliche Frommheit und Gläubigkeit, starke Intuition und unerhörter Quellenstudiumsfleiß kennzeichnet das imposante Werk der in der Schweiz lebenden, in ihrem literarischen Anfang und Aufstieg so intim mit Oesterreich verbundenen Russin AI j a Rachmanowa. Ihr neuer Roman „D i e falsche Zarin“ (Verlag Huber & Co., Frauenfeld, Schweiz, 300 Seiten) hat in wenigen Monaten zwei Auflagen durcheilt und stellt unzweifelhaft einen neuen, glänzenden Höhepunkt in ihrem literarischen Gesamtwerk dar. Er verfolgt auf den verdunkelten Spuren zahlloser befangener und echter historischer Nachweise das unheimliche Schicksal eines Menschen, der eigentlich „zwei“ gewesen ist: der echten Tochter Kaiserin Elisabeths von Rußland, der 1810 verstorbenen Nonne Dossifeja, und jener berückend schönen, von polnischen Konföderaten als Kronprätendentin gegen Katharina vorgeschobenen Frau, die sich bloß dafür gehalten hatl Der großartige Vorwurf gewinnt in der berückenden Farbigkeit Rachmanowascher Erzählerkunst phantastische Leuchtkraft und in den tragischen Schlußteilen, dem qualvollen, aber unzweifelhaft nicht gewaltsamen Tod der „Prinzessin Tarakanowa“, eine erschütternde gläubige Dimension. Frei Erfundenes, besser: Empfundenes, verschmilzt mühelos mit historisch belegten Briefen, Rapports und Hinweisen zu einer mitreißenden Einheit. Ein großer Stoff, der — nach großen Vorgängern in Literatur, Musik und Malerei — noch einmal groß und jetzt endgültig bewältigt wurde.

Das russische Kolorit — ob aus Herkunft der Autorin oder aus starkem Nachkriegserleben? — taucht noch einmal in zwei Romanen der deutschen Schriftstellerin lila A n d r e a e auf, deren eigenwillige, spröde Prosa schon mehrmals in diesen Spalten gewürdigt wurde.

„M einist die Rache“ (Verlag J. P. Bachem, Köln, 256 Seiten, Preis 5.85 DM) ist das ungewöhnliche Schicksal eines deutschen Kampffliegers, den das Leben aus rotchinesischer Gefangenschaft nach Südamerika führt, wo er nach schmerzlichen Umwegen Ruhe in der Sühne für eine dunkle Tat findet.

„Unstet und flüchtig“ (obiger Verlag, 220 Seiten, Preis 5.85 DM), im Vorwurf vielleicht nicht so weltweit, aber im Aufbau tiefer, geraffter und gestraffter, dringt in das Doppelleben eines bolschewistischen Offiziers ein, in dessen ungleichem Elternpaar der Ost-West-Konflikt eine ergreifend zeitnahe Ausprägung gefunden hat. Die Lösung erfolgt, wie im erstgenannten Roman, ohne jede billige Frömmelei auch hier in religiösem Erleben. Gerade sie hebt die , beiden neuen Werke lila Andreas aus bloßer literarischer Gekonntheit in den Rang gültiger Gegenwartsaussagen.

„Ich brauche keinen anderen Glauben als den an die Menschheit. Wie einst Konfuzius, nimmt mich das Wunder dieser Welt und das Leben darauf so gefangen, daß ich für Himmel und Engel keine Gedanken mehr habe. Dieses Leben bietet mir genug. Gäbe es kein anderes — es hat sich gelohnt, geboren zu werden, ein Mensch zu sein.“

Die Worte stammen aus einem merkwürdigen säkularisierten Credo, einem Nachwort der nunmehr 63jährigen amerikanischen Schriftstellerin Pearl S. B u c k zu ihrem neuen Indienroman „Und fänden die Liebe nicht“ (Originaltitel „Come, my beloved“, deutsch von Hans B. Wagenseil, Verlag Kurt Desch, Wien-München-Basel, 483 Seiten).

Der unbestritten große Aufriß des Romans — nach „Die gute Erde“ wohl die bedeutendste Schöpfung der Bestsellerin —, der an Hand eines Generationenschicksals die Gegensätze der Gegenwart: Ost-West, Weiß-Farbig, altindischen Glauben und „modernes Christentum“ u. a. konfrontiert und durch menschliches Verständnis zu überbrücken sucht, scheint allerdings das Diesseitsbekenntnis der Autorin selbst in Frage zu stellen. Denn bei aller Liebe zu den Menschen schwebt in dem Buche ein eigentümlicher Schleier von Skeptizismus über deren Schicksal. Es geht, meine ich, in der Welt auch nicht darum, vorhandene Gegensätze durch romantische Dialektik auszuwaschen, sondern sie unerschrocken zu bejahen und auf höherer Ebene zu überwinden. Diese Ebene freilich dürften kaum die ziellosen Straßen dieser Erde sein ...

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung