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Randvoll mit Traurigkeit

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Hochinteressantes literarisches Neuland erschließen die beiden uns hier vorliegenden Anthologien dem deutschsprachigen Leser und vermitteln zugleich die Möglichkeit der Auseinandersetzung mit den Problemen und Aufgaben fremder Welten.

Elisabeth Schnack ist mit ihrem Sammelband „Australische Erzähler“ ein repräsentativer Überblick über die Entwicklung der australischen Kurzgeschichte von ihren Anfängen bis in unsere Gegenwart gelungen. Ein vielfältiges Spiegelbild des harten Lebens der europäischen Siedler — deportierter Sträflinge zunächst, dann freier Einwanderer aus England, Schottland, Irland und auch aus Deutschland —. die alle, von der Assimilationskraft des Landes erfaßt, sehr bald zu Australiern wurden.

Selten ist leider die Begegnung mit der im Aussterben begriffenen schwarzen Urbevölkerung des Landes. Eine von K. Langloh Parker aufgezeichnete Eingeborenenlegende, „Der Zauberer Beereun“, und die schöne Geschichte vom Sänger Kaijek von Xavier Herbert läßt aber ahnen, wieviel elementare Poesie und Einbildungskraft hier einst lebendig wirkte.

Die Schauplätze, Motive und Heldentypen der 46 Kurzgeschichten sind genauso verschieden, wie Klima, Landschaften und Lebensbedingungen des australischen Kontinents enorme Gegensätze aufweisen. Immer wiederkehrende Themen in dieser Vielfalt sind der Kampf des Menschen mit einer noch ungebändigten Natur, die Abenteuer der Buschmänner, der Fährtensucher, der Goldgräber. Aber auch Viehzüchter, Hirten, Wollscherer, Kleinsiedler, Grubenarbeiter, später auch städtische Typen bevölkern die bunte, meist noch sehr ursprüngliche Welt dieser australischen Erzähler, und bei den jüngeren nehmen Kriegserlebnisse aus dem letzten Weltkrieg einen breiten Raum ein. Frauen spielen seltener eine bedeutende Rolle in dieser rauhen Männerwelt. Aber obwohl sie als Handelnde in den Erzählungen meist nur am Rande aufscheinen, fällt doch auf, daß unter den Autoren gerade der frühen australischen Prosaliteratur, die sich erst um die Jahrhundertwende zu entwickeln begann, sehr viele Frauen sind.

Die wechselvolle Geschichte des australischen Kontinents und die Problematik der Gegenwart wird in der von Elisabeth Schnack mit viel Sachkenntnis und innerer Anteilnahme zusammengestellten Anthologie lebendig, Reichtum und Vielfalt in einem — verglichen mit dem unseren — einfachen Leben, in dem die Zugänge zu den Ursprüngen noch nicht verschüttet sind.

Der erste Band einer vom Stuttgarter Institut für Auslandsbeziehungen herausgegebenen Reihe „Geistige Begegnung“ ist der modernen indischen Literatur gewidmet. Das Indien unserer Tage wird da heraufbeschworen, mit seinen schier ausweglosen sozialen und wirtschaftlichen Problemen, seinen Gegensätzen zwischen Hindus und Mohammedanern und zwischen den Angehörigen der verschiedenen Kasten, mit den die moderne Entwicklung hemmenden gesellschaftlichen Traditionen und Vorurteilen. Indien in seinem schweren Kampf gegen Hunger, Armut, Unwissenheit und Intoleranz, gegen einen gefährlichen Fatalismus auch.

der die Tatktaft hemmt, weil er das Unglück als unabwendbar hinnimmt, von , Gewalten verhängt, gegen die der Mensch machtlos ist. Ein Hexenkessel, in dem alles durcheinander wallt, in dem aber auch die Kräfte der Selbstfindung und einer unendlichen Geduld. Herzensstärke und Menschlichkeit, wie Gandhi sie lebte und propagierte, langsam, aber stetig wachsen.

Großartig kommt das zum Ausdruck in der Erzählung „Der Soldat des Affengottes“ von Balwant Gargi, in der ein Hindu bei einem Aufstand gegen die muselmanische Bevölkerung seines Dorfes einen Bedrohten mit dem Einsatz des eigenen Lebens schützt. Oder auch in der Geschichte „Feigen“ von Bhahani Bhat-tatscharya, in der ein halbwüchsiger Junge zu der Einsicht gelangt, daß er die nur ihm erreichbaren Feigen, die er für seine hungernden kleinen Geschwister nach und nach pflücken wollte, mit seinen Gefährten teilen müsse, weil auch sie daheim hungrige Brüderchen und Schwesterchen haben. Aber gerade beim Thema Hunger, das so oft in diesen Geschichten anklingt, ist das Bild nicht immer so hell und menschlich. Es gibt da eine schreckliche Episode — von S. K. Pottekatt berichtet —. in der ein Vater seinen gesunden Sohn gegen Tollwut impfen läßt, weil ihm das täglich sechs Annas einbringt, mit denen er notdürftig seine verhungernde Familie über Wasser halten kann, bis das Kind einen qualvollen Tod stirbt.

Indien im Spiegel seiner eigenen Autoren — das gibt .ein weit weniger romantisches Bild, als wir es aus Filmen und flüchtigen Reiseberichten kennen. Fast alle diese Geschichten sind trostlos und traurig, zeigen ein schwergeprüftes Land, vom Schicksal geprüfte Menschen, die sich ergeben in ihr Los fügen, auch da, wo es vom europäischen Blickpunkt sinnlos und abwendbar erscheint. Es ist aber nicht sinnlos, denn alle diese Gestalten, denen wir begegnen, gewinnen gerade durch ihre Leiden eine besondere menschliche Substanz und Würde.

Auswahl und Zusammenstellung des schönen Buches besorgte der Wiener Schriftsteller W. A. Oerley. der auch einen großen Teil der Beiträge ins Deutsche übersetzt hat.

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