KI - © Illustration: iSotck / Sloop Communications

Raphaela Edelbauer: Im Tal des Gruselns

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Raphaela Edelbauer erkundet in ihrem neuen Roman „Dave“ das Menschliche im Künstlichen und formt dabei aus philosophischen Ideen, Finten und Fakten ein großes Ganzes.

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Raphaela Edelbauer erkundet in ihrem neuen Roman „Dave“ das Menschliche im Künstlichen und formt dabei aus philosophischen Ideen, Finten und Fakten ein großes Ganzes.

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Wer wie die Rezensentin darüber nachgrübelt, wofür das Akronym DAVE stehen mag (und es ist ein Science- Fiction-Roman, die einzelnen Buchstaben MÜSSEN für etwas stehen, das weiß jede Genrekennerin), dem sei Arbeit abgenommen: Wofür DAVE steht, das weiß selbst die Autorin nicht mehr, wie Raphaela Edelbauer in der Literatursendung „Druckfrisch“ zu Protokoll gibt.

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So lange habe sie schon an dem Roman gearbeitet, zehn Jahre insgesamt, und das Schreiben immer wieder unterbrochen und neu angefangen, dass sie es schlichtweg vergessen habe. Dass man ihr das nicht glaubt, liegt nicht daran, dass sie kokettiert (wie Autorinnen ja gerne unterstellt wird), vielmehr gehört es zum Konzept. Dass die titelgebende künstliche Intelligenz „Dave“ denselben Namen trägt wie einer der Astronauten in Stanley Kubricks Kultfilm „2001: Odyssee im Weltraum“, ist wohl eher auch kein Zufall.

Maschine mit Bewusstsein

Auf den ersten Blick ist „Dave“ ein typischer Science-Fiction- Roman mit klassischer futuristisch-dystopischer Anlage: Die Menschheit hat die Umwelt ruiniert und unbewohnbar gemacht, alles drängt sich in einem bienenstockartigen, hierarchisch (und schön kapitalistisch) in verschiedene Ebenen gegliederten, riesenhaften Bau. Vom Lager, der proletarischen Schicht, der breiten Masse der Programmierer bis hin zu den wenigen Privilegierten, die statt energiereichen Fertigbreis richtiges Essen und sogar natürliches Licht bekommen, spiegelt sich darin unsere Gesellschaft, doch das ist nur eine Fingerübung nebenbei. Individuelle Freiheit gibt es keine mehr, jeder wird überwacht, alles wird einem Zweck untergeordnet: der Erschaffung einer gigantischen künstlichen Intelligenz namens Dave, die „die erste urteilsfähige, kreativ denkende Maschine der Menschheitsgeschichte“ werden soll. Durch die „Elimination von Irrationalität“ soll das Leiden für immer besiegt werden, wie es etwas kryptisch heißt. Das heißt im Umkehrschluss aber eben auch, dass menschliche Fehlbarkeit ausgerottet und Entscheidungen an eine Maschine abgegeben werden sollen.

Erzählt wird das Ganze von Syz, einem mittelmäßig begabten Programmierer, auf den ersten Blick ein Durchschnittstyp, der mit der Masse schwimmt und bei Beförderungen regelmäßig übergangen wird. Fühlte man sich bis dahin in eine (wenig kreative oder innovative) Folge der britischen, technik- und medienkritischen Erfolgsserie „Black Mirror“ versetzt, wird es plötzlich spannend. Denn ausgerechnet dieser Syz soll als Blaupause dienen, um Dave ein Bewusstsein und damit eine Identität zu geben. Die Theorie des „Uncanny Valley“ beschäftigt sich damit, wie Maschinen dem Menschen optisch so angenähert werden können, dass Akzeptanz und Identifikation möglich sind. Ist die Ähnlichkeit allerdings zu groß, entsteht das Gegenteil, ein Gruseln vor dem Roboter. Dieser Übergang wird als Uncanny Valley, als unheimliches Tal bezeichnet. Dave soll dem Menschen nicht optisch angenähert werden, sondern mental. Was noch viel gruseliger ist.

Und so ist dieser hochtechnisierte, futuristische und mitunter steril wirkende Roman ein Roman über Identität und Menschlichkeit.

Nichts lässt einen besser erkennen, wie etwas funktioniert und was das Wesenhafte ausmacht, welche Details entscheidend sind, als der Versuch, es künstlich herzustellen. Wer einen Menschen bauen will, kommt nicht umhin, sich zu überlegen, was Menschlichkeit ausmacht. Dave, der im Grunde nichts anderes als ein Computer mit gigantischer Rechenleistung ist, soll ein Bewusstsein verpasst werden, was wiederum die Frage aufwirft, was ein Bewusstsein, also Selbsterkenntnis, überhaupt ausmacht und ob eine künstliche Intelligenz überhaupt darüber verfügen kann. Die These, dass Sprache Bewusstsein schafft, ist alt. Der berühmte Erinnerungs- und Gedächtnisforscher Maurice Halbwachs vertrat die Idee, dass Erinnerung, Sprache und Bewusstsein untrennbar miteinander verbunden sind. Nur was ich versprachlichen kann, erinnere ich auch, und die Erinnerung ist wiederum die Basis unseres Bewusstseins und unserer Identität. Mithilfe von Syzʼ Erinnerungen soll nun Dave ein künstliches Bewusstsein gegeben werden, und dazu muss Syz erzählen und sein eigenes Leben in bedeutsame, programmierbare Bausteine aufschlüsseln und droht dabei, sich selbst zu verlieren – so wie sein Vorgänger Arthur Witteg, der nicht nur spurlos verschwunden ist, sondern auch eine auffällige optische Ähnlichkeit mit Syz aufweist. Syz wird misstrauisch und beginnt, dem Ganzen nachzugehen.

Existenzielle Fragen

Zum Plot sei nicht zu viel verraten, denn „Dave“ ist nicht nur ein SF-Roman, sondern liest sich spannend wie ein Polit- und Verschwörungsthriller und wartet mit einem wahrhaft spektakulären Ende auf. Edelbauers Roman verhandelt nicht nur hochaktuelle Themen wie den Einfluss von Technik auf unser Leben und den Umgang mit künstlicher Intelligenz. Dave ist ein Vehikel, an dem sich existenzielle Fragen, wenn nicht beantworten, so doch durchdenken lassen: Fragen nach Identität und Menschlichkeit, die mit dem Erzählen verknüpft werden. Dabei wird
Sprache nicht einfach banal als Grundlage von Menschlichkeit und Bewusstsein gleichgesetzt. Auch Codes und Programme sind schließlich Sprache. Misstrauen kommt auf beim Lesen, gegen das Team, das Syz in Dave einspeisen soll, aber auch gegen den Erzähler selbst, dem wir beim Fingieren von Erinnerung zusehen, seine Lücken und Selbstzweifel am Erzählten und Erlebten lassen einen unweigerlich fragen, ob dieser mutterlos aufgewachsene, scheinbar mittelmäßige Typ nicht mehr Frankenstein als Prometheus ist: „(Und wie schwierig das Erzählen des eigenen Lebens ist: Denn je mehr man spricht, in desto kleinere Fragmente muss man sich teilen. Was man von sich behauptet, beginnt schon im Moment der Behauptung nicht mehr einem selbst anzugehören, denn sonst hätte man nichts vereinzeln können, aber es kann auch nicht fremd sein; man hat es ja aus sich selbst geschöpft.)“

Und so ist dieser hochtechnisierte, futuristische und mitunter steril wirkende Roman ein Roman über Identität und Menschlichkeit. Damit hebt er sich im Übrigen nicht vom Genre ab, sondern reiht sich vielmehr unter die großen Vertreter der Science-Fiction ein, die nie nur auf technische Spielereien und Wissenschaftsvisionen beschränkt waren, sondern im Kern schon immer philosophische und gesellschaftspolitische Fragen verhandelt haben. Die 1990 geborene Autorin hat eine eindrucksvolle Karriere hingelegt, Rauriser Literaturpreis 2018, im selben Jahr Publikumspreis beim Bachmannpreis, 2019 Shortlist für den Deutschen und den Österreichischen Buchpreis. Ihr zweiter Roman „Dave“ steht dem begeistert aufgenommenen Erstling „Das flüssige Land“ nicht nur um nichts nach, die Autorin stellt vielmehr ihre Vielseitigkeit unter Beweis, klebt nicht am alten Erfolgskonzept, ohne an Erkennbarkeit zu verlieren. „Dave“ ist ein Panoptikum wissenschaftlicher und philosophischer Ideen von Wittgenstein bis Jeremy Bentham, aber Edelbauer erfreut sich nicht einfach nur an ihrer eigenen spielerischen und erzählerischen Klugheit (was für einen guten Roman auch schon gereicht hätte), sie schafft es, aus wahnsinnig vielen Details, popkulturellen Anspielungen, Finten und Fakten ein großes Ganzes zu formen, ohne dass Spannung und Unterhaltung dabei auf der Strecke bleiben.

DAVE - © Foto: Klett-Cotta
© Foto: Klett-Cotta
Buch

DAVE

Roman Von Raphaela Edelbauer
Klett-Cotta 2021 432 S., geb., € 25,70

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