6587734-1952_05_08.jpg
Digital In Arbeit

Schicksalswende

19451960198020002020

Churchill-Memoiren. Vierter Band, erster Teil. Alfred-Scherz-Verlag, Bern, 526 Seiten

19451960198020002020

Churchill-Memoiren. Vierter Band, erster Teil. Alfred-Scherz-Verlag, Bern, 526 Seiten

Werbung
Werbung
Werbung

Es ist sehr wahrscheinlich, daß in künftiger Zeit die Erinnerungen Winston Churchills für alle, die sich der Weltpolitik, der neueren Geschichte oder dei Diplomatie verschreiben werden, zu den „Klassikern zählen wird, deren Studium für sie unerläßlich sein wird. Diese gewaltige Rückschau in fünf zweiteiligen Bänden des „großen alten Staatsmannes glänzt in allen ihren Fortsetzungen durch die Leuchtkraft persönlicher Erinnerung, sie stützt sich aber gleichzeitig auch auf einen eingehenden dokumentarischen Gedankenaustausch mit allen führenden politischen und militärischen Persönlichkeiten der Alliierten. Einen Mann wie den britischen Premierminister dürfte man auch dann nicht mit karger Elle messen, wenn er die atemberaubenden Vorgänge dieser Tage aus subjektiver Schau sehen würde. Aber wie stark sich immer seine Persönlichkeit und seine Dynamik aut den Seiten dieses Buches ausprägen mag — der letzte große Staatsmann der alten Schule, der geistige Nachfahre der großen Herren vom Schlage der Kaunitz, Talleyrand und Metternicht, ist immer Gentleman. Auch starke politische Distanzen wirken sich nicht in einer Trübung seines Urteils aus.

Der vierte Band des Werkes trägt den Titel „Schicksalswende“ („The hinge of he fate'), das Thema des hier vorliegenden ersten Teiles lautet: „wie die große Allianz allmählich das Übergewicht erlangte". Man muß optimistisch und standfest wie Churchill sein, um den jähen Zusammenbruch aller westlichen Positionen in Ost- und Südostasien, die schweren damaligen Rückschläge in Afrika unter diesem Titel einbegreifen zu können. Singapore, Insulinde, die Philippinen, Burma gin-

gen damals in einem Anlauf verloren, nach der amerikanischen Flotte wurde auch die britische in den östlichen Gewässern dezimiert. Erst an den Grenzen Australiens erwies sich der Beistand Amerikas als militärische Größe. Diese Ereignisse sind schon vielfach dargestellt worden. Sie gewinnen unter Churchills Hand neue Beleuchtung, neues Leben. Die Geschichtsschreiber unserer Zeit werden jene Abschnitte des Werkes in den Vordergrund rücken, aus denen die weltanschaulichen, politischen und charakterlichen Gegensätze zwischen „Ost' und „West , vorerst noch sordiniert und verhalten, heraufsteigen. Schon die rein kontinentale Denkweise der Russen machte die Argumentation der maritim orientierten Angelsachsen zu einem fast hoffnungslosen Problem Wenn man die alliierten Diskussionen um die britisch-amerikanischen Geleitzugshilfe liest, meint man den alten, nach Bataillonen rechnenden Militärstandpunkt zu hören. Nachschub übdr Ozeane, die ganze Problematik der Umwandlung einer lOOprozentigen Friedens- in eine lOOprozen- tige Kriegswirtschaft bleiben für diese Optik unzugänglich. Rückwirkend ist auch der Bericht über Molotows Londoner Besuch im Mai 1942 von großem Interesse. Der Wunsch der Sowjetunion, eich (außer den baltischen Staaten) Ostpolen anzugliedern, wurde damals noch ebenso abgelehnt wie die sowjetischen Ansprüche auf Rumänien. „Sycambrien sollte damals noch nicht „befreit werden. Im ganzen: Von Band zu Band wächst in diesem mit kühlem Kopf und heißem Herzen geschriebenen Werk die Gegenwartsnahe. Die Problemstellungen der Nachkriegswelt treten, zögernd noch, ans Tageslicht.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung