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Sein Herz war bei den Streitbaren

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ABGESANG AUF EINE GROSSE ZEIT. Von Otto Forst de Battaglia. Mit einem Bild des Autors. Einbandentwurf von Epi ScblUsselberger. Herold-Verlag, Wien-München. 80 Seiten. S 63.—.

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ABGESANG AUF EINE GROSSE ZEIT. Von Otto Forst de Battaglia. Mit einem Bild des Autors. Einbandentwurf von Epi ScblUsselberger. Herold-Verlag, Wien-München. 80 Seiten. S 63.—.

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Nun sind fast schon zwei Jahre vergangen, seit Universitätsprofessor Dr. Otto Forst de Battaglia von uns gegangen ist. Aber immer wieder wird sein Name genannt, sein Bild erinnert, und immer wieder sind die älteren Redakteure der „Furche“ versucht, den Hörer abzuheben und ihn, den alles Wissenden, um etwas zu fragen — wenn alle Lexika versagen —, seinen Rat einzuholen oder einen Artikel zu einem aktuellen Anlaß zu erbitten, wie wir's etwa 15 Jahre lang gewöhnt waren. Vorbei, dahin. Aber doch nicht ganz. Aus dem umfangreichen, vielschichtigen, in so vielen Farben leuchtenden und schillernden Werk dieses letzten großen Polyhistors und Enzyklopädisten bietet das vorliegende Büchlein eine kostbare, zwar schmale, aber sehr charakteristische Auswahl, die F. Th. Csokor mit einem Porträt des Autors eingeleitet hat.

Da steht zunächst der Essay „Österreich, ein Reich der Mitte“, in dem Erkenntnisse, wie sie während der letzten zwei Jahrzehnte fast schon ein wenig Gemeingut geworden sind — über das Wesen des Homo Austriacus, von seiner „schlampigen Grazie“ bis zu seinem Universalismus und seiner Aufgabe als Mittler zwischen West und Ost —, unvergleichlich brillant und prägnant formuliert wurden. Dann aber folgt eine überraschende und erhellende Parallele zu China, dem anderen Reich der Mitte, zum alten China, versteht sich, jenem mächtigohnmächtigen Vielvölkerstaat mit seiner langlebigen Dynastie, mit seiner Vorliebe für gepflegte Lebensart und gute Küche (auch in dieser Hinsicht war Forst-Battaglia ein echter Österreicher beziehungsweise Chinese), mit dem zeitlosen Typus des „Kavaliers“ hier, dem des feingebildeten Grundherrn, Beamten oder Gelehrten dort...

Nestroy ist der nächste Essay gewidmet, über den Forst-Battaglia noch im Jahr 1962 eine ausführliche Monographie veröffentlicht hat, auf die wir bei dieser Gelegenheit hinweisen (Langen-Müller, München). Uber den schwierigen Einzelgänger Richard von Schaukai schrieb unser Autor — noch zu Lebzeiten des Dichters: „Er trägt mit Würde das Los

— obzwar in Grinzing hausend —, kein Heuriger, sondern ein Gestriger zu sein und damit in einer Lotterie, bei der Zehntausende mitspielen, meist falsch und auf kläglichen Instrumenten, den Haupttreffer zu machen: einen unvergänglichen Lorbeerkranz.“ Zu ihm, dem Polemiker und Aristokraten, fühlte sich Forst de Battaglia ebenso hingezogen wie zu Karl Kraus, als dessen Verehrer er sich stets bekannte. Dessen Eigenart erklärte er: aus seiner jüdischen Abkunft, aus seinem österreichertum, aus seiner antiken Bildung und aus der Formung durch die deutsche Klassik und Romantik. Karl Kraus und seine Fackel waren innerhalb eines Jahrzehnts „zu einer Institution geworden, zu einer Neben-und Gegenregierung in der Cite des Lettres“. In ihr regierten damals die „Neue Freie Presse“ und die Dichter und Literaten des Cafe Griensteidl — für die übrigens auch Forst-Battaglia keine Sympathie hatte.

Sein Herz war bei den streitbaren Federn, den Moralisten und Dialektikern der Literatur. Joseph Roth macht da eine Ausnahme. Was er an ihm, dem „Wanderer zwischen drei Welten“, besonders liebte, hat er in einem Meisteressay gesagt, den wir in den „Literarischen Blättern“ der „Furche“ (6. Folge) abgedruckt haben. — Weniger bekannt ist Forst Battaglias Deutung des Werks und der Persönlichkeit von Hermann Broch. Er zeigt sie uns in einem von vielen Kraftlinien beeinflußten Spannungsfeld (Kafka, Karl Kraus, Heinrich Mann und Musil). Mathematik, formale Logik, kontrapunktische Musik und dichterische Einsicht verbinden sich darin, von den „Schlafwandlern“ bis zum „Vergil“.

Der letzte Essay ist Franz Theodor Csokor gewidmet. Er beginnt mit den Worten: „Immer ist Anfang in seinem Werk, und darum bleibt es ewig jung. Immer ist Unrast in ihm, und darum gelangt es nie zur Vollendung, wie nahe er ihr in begnadeten Stunden gekommen sein mag“, und er schließt, nach einer souveränen Überschau über das epische, lyrische und dramatische Opus, mit einem Wort über den unbeugsamen Humanisten und Freiheitskämpfer Csokor, der charakterisiert wird als ein christlicher und wahrhaft österreichischer Dichter, dem nichts Menschliches fremd ist. — An vorletzter Stelle aber steht eine gewichtige Studie über Dr. Friedrich Funder, der als streitbarer Parteipublizist begann, den sein Weg an die Seite Erzherzog Franz Ferdinands führte, der im Ständestaat „Staatsrat“ war, der mit Österreich im Jahr 1938 unterging und, wie Joseph, in die Grube geworfen wurde, der unversehrt, doch in vielem gewandelt, die Jahre der Unfreiheit überstand, der an der Schwelle des Greisenalters die beiden für die Erforschung der Zeitgeschichte unentbehrlichen Erinnerungswerke „Vom Gestern ins Heute“ und „Als Österreich den Sturm bestand“ schrieb (beide im Herold-Verlag) und der als sein Opus magnum „Die Furche“ gründete. Womit sich für uns ein Kreis geschlossen hat, in dem auch Otto Forst de Battaglia stets ein Ehrenplatz reserviert sein wird.

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