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Seltsame Welt der Neger

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James Baldwin (Jahrgang 1924, Sohn eines Negergeistlichen aus Har-lem) gehört als Romancier, Essayist, Lyriker und Dramatiker zu den führenden Negerschriftstellern Amerikas. Musterfall des schwarzen Intellektuellen, hat er sich die literarische Kultur des Weißen einverleibt und in bedeutende Mittel des Ausdrucks umgewandelt, die im Werk in jähem Wechsel zwischen dem Glanz ungestümer Poesie und matten Banalitäten schwanken. Aber alles, was er schreibt, ist Spiegel des Amerikas der Neger, vermag die Not von Hartem nicht abzuschütteln. Sein Standpunkt: „Ich mag die Leute nicht, die mich gern haben, weil ich ein Neger bin, und ich mag auch die Leute nicht, die mich deswegen verachten. Ich liebe Amerika mehr als irgendein anderes Land der Welt, und ich bestehe eben darum auf meinem Recht, Amerika dauernd zu kritisieren.“ Man lernt Baldwin besser aus seinen (zum Teil auch ins Deutsche übersetzten) Romanen und Essays kennen. Wenn nun die Hai-zib-Stoiber-Produktion, New York, im Theater an der Wien mit einem eigens für Europa zusammengestellten Ensemble (Regie Loyd G. Richards) in einer Art Wiener Premiere Baldwins Schauspiel „The Amen Corner“ (etwa Der Gebets-oder Herrgottswinkel) aufführte, so fesselten daran eher die Darstellung der durchweg ausgezeichneten Schauspieler und ihre eindringlichen Gos-pel-Gesänge. Das Drama selbst mit den viel zu weitschweifigen Dialogen mutet in den drei Stunden dem Publikum doch etwas viel zu.

Auf der zweigeteilten Bühne spielt sich links das Leben in einer Harle-mer Sekte ab, während sich rechts, nur durch eine freistehende Türe getrennt, in der Wo'hnung der Sek-tenpredigerin Sister Margaret das Schicksal ihrer Familie vollzieht. Ihr Mann, ein Jazzmusiker, den sie deshalb verstoßen hat, kehrt nach zehn Jahren todkrank zu ihr zurück und stirbt in ihren Armen. Ihr Sohn David, den sie zu ihrem Nachfolger und Musiker der Gemeinde bestimmt und demnach puritanisch erzogen hat, fühlt sich eher zur Jazzmusik hingezogen. Am Ende muß sie erschüttert einsehen, daß sie die echte Welt des Menschseins mißachtete und ohne die Liebe zum Nächsten den Weg zu Gott gehen wollte.

Das eigentlich Faszinierende an der Aufführung war die naive, starke Gläubigkeit der farbigen Sisters und Brothers, die Unvorein-genommenheit, mit der sie die Sache Gottes zur eigenen gemacht und aus jener in diese Welt übernommen haben. Sehr eindrucksvoll, wie sich die seelische Freude in körperliche Bewegung, ja Tanz und Inbrünstigen Gesang umsetzt. So mag jene Atmosphäre voll einfacher, kindlicher gläubiger Kraft entstehen, in der dann der Pfarrer (wie es tatsächlich geschehen soll) seiner Gemeinde am Ende zuruft: „Wenn du nachher nach Hause kommst, nimm dein Telephon und rufe Jesus an und sag Ihm, daß du heute wieder gesündigt hast!“

Das Publikum spendet den Darstellern, allen voran Claudia McNeil als Sister Margaret, begeistert Beifall.

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