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Stimme des Herzens

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Mehr denn je brauchen die Menschen von heute Dichter, die nicht nur das Formale ihrer Kunst beherrschen, sondern sich auch zu den immer gültigen Werten bekennen und mit der Stimme des Herzens Zur inneren Einkehr rufen. Solche Dichter im wahrhaft humanen Sinne werden uns in den vielen Nöten und Wirrnissen der Gegenwart zu Helfern und Freunden, aus deren Worten ein tröstliches Licht auf unseren Weg fällt. Wir brauchen sie nicht lange zu suchen, wir finden sie vor allem in unserer heimatlichen Literatur, in der unsere seelischen und geistigen Wesensmerkmale klar zum Ausdruck gekommen sind. Das typisch österreichische als ein Lebenswert für sich, kann durch die besondere Ausstrahlung einer Dichtung weit besser erfaßt werden als durch eine noch so treffende Definition. Für den österreichischen Dichter ist es charakteristisch, daß er sich weder dem kalten Rationalismus noch dem sentimentalen Überschwang verschreibt, sondern Vernunft und Gefühl in einen schönen Ausgleich bringt und daß er dort, wo er ein sittlidies Anliegen vertritt, das Ethische ohne trockenes Moralisieren hervortreten läßt. Darum vermag er auch unmittelbar zum Herzen zu sprechen.

Ein schönes Beispiel für diese Eigenschaft ist der Dichter Bruno Ertler, der vor rund zwanzig Jahren, am 10. Dezember 1927, in Graz starb und leider noch vielen unbekannt geblieben ist. Der Postmeisterssohn aus Pernitz schrieb seine ersten Gedichte noch als Knabe in der Klosterschule von Stetten, besuchte das Gymnasium und wurde in Graz Doktor der Philosophie. Größere Reisen erweiterten den Kreis seines Erlebens. Nach dem ersten Weltkrieg war er als Journalist an Grazer Zeitungen tätig und nahm zuletzt, von den wirtschaftlichen Verhältnissen gezwungen, eine Beamtenstelle an. Obwohl er zeit seines Lebens unter Krankheiten zu leiden hatte, gelang es ihm bei seiner Willenskraft doch, eine schöne dichterische Ernte einzubringen. Unberührt von literarischen Moden folgte er stets npr dem Gebot seines künstlerischen Gewissens. Er trat mit lyrischen und dramatischen Werken hervor, schuf aber sein Eigenstes als Erzähler. Seine Erzählungen künden von einer Lebenshaltung, die man als österreichisch im besten Sinne bezeichnen muß, wenn sie auch oft nur in einer unwägbaren Grundstimmung fühlbar wird. Weltaufgeschlossenheit und Hejmatliebe, Humor und Nachdenklichkeit, Daseinsfreude und reine Gläubigkeit, feine Psychologie und eine erstaunliche Fähigkeit, zarte Stimmungsnuancen wiederzugeben, verleihen diesen Dichtungen ihre reizvolle Eigenart. Vor allem aber wirkt die echte Menschlichkeit, die verstehende Güte, mit der hier die Vielfalt des Lebens betrachtet wird. Wir erkennen den Dichter als einen Sucher nach den wahren Werten, der sich unablässig um die eigene Vollendung bemüht. „Sei Mensch! Mehr kannst du nicht sein. Und auch, wenn du Künstler bist, muß dein. Menschentum dich tragen und nicht deine Fertigkeiten“, lautet seine Forderung, die er an sich selbst erfüllt hat.

Das Motiv der Reinheit des Herzens und der Tragik ihres Verlustes wird von Ertler in verschiedenen Variationen behandelt, in seinem volkstümlichen Faustspiel und am ergreifendsten in der spannungsreichen Novelle „Venus, die Feindin“. Aus dem Erlebnis einer Liebe und der dalmatinischen Landschaft erwuchs „Yenus im Morgen“. Als gemütvoller Darsteller der jugendlichen Seele zeigt sich Ertler in einer Reihe von Erzählungen, von denen nur „Die Königin von Tasmanien“ genannt sei. Alles Rätselhafte und Unbestimmte des kindlichen Erlebens macht er ohne viele Worte deutlich und bezaubert uns durch die stille behutsame Art der psychologischen Begründung. Mit der gleichen Kunst schildert er die Begegnung eines Malers mit zwei gegensätzlichen Frauen in der ausgezeichneten Novelle „Damenspiel“. Das zentrale Motiv ist immer die Liebe, aber nicht nu'r die der Geschlechter, sondern die Menschenliebe überhaupt, welche als erlösende Kraft die tragischen Zwiespältigkeiten der Welt überbrückt. An Ertlers erzählenden Schriften, von denen eine Auswahl im Albrecht-Dürer- Verlag erscheinen wird, nimmt uns die Innigkeit des Gefühls gefangen, ein Gemütsreichtum, der sich mit klarem Wirklichkeitssinn verbindet. Aus ihnen spricht die weise Gelassenheit eines Dichters, der viel überwunden hat und dem die seltene Gabe eigen ist, im positiven, lebensfördernden Sinne zu Wirken, ohne jemals lehrhaft zu sein. Er vermeidet das gefährliche Zerreden der Probleme, dem so manche Autoren verfallen, und es gelingt ihm, daß sich der ethische Leitgedanke wie von selbst nur aus der Gestaltung ergibt und den Leser um so stärker anspricht. Dichter, die auf diese Weise den Weg zur Innerlichkeit und echten Herzenskultur zeigen, haben gerade in unseren Tagen eine schöne Sendung zu erfüllen.

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