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Theater im Herbst

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Die Bregenzer Festspiele haben in diesem Sommei „Die chinesische Witwe“ von Hans Homberg herausgebracht. Es soll ein arger Durchfall gewesen sein. Die erste Premiere in dieser neuen Saison im Akademietheater galt diesem Spiel und hat die Bregenzer Erfahrungen vollauf bestätigt. Bedrückt sieht man zu, wie da zweieinhalb Stunden die Schauspieler sich mit einer auf dem Papier ausgerechneten Komödie abzufinden suchen. Nun, die alten Chinesen haben das Papier erfunden und haben in der Lebenslehre und Weltweisheit des Taoismus in seiner ursprünglichen Form eine der tiefsinnigsten Weltanschauungen geschaffen. Dazu kamen dann, gewiß später, Zauberei und allerlei magische Praktiken. In diesem Stück, dessen „Held" ein Meister des Tao sein soll, wird zwar von all dem in Ragoutform geredet, ist aber kein Hauch zu spüren: weder vom Tao (Laotses Tao-Te-King liegt in einem halben Dutzend interessanter Uebertragun- gen, besser. Versuche einer Sinndeutung, vor) noch von einem Zauber. Es fehlt jeder Schmelz, der die moderne Komödie, wenn sie sich eben tiefer mit sich selbst einläßt, so anziehend macht: Fry, Lorca, Eliot. Nicht auszudenken, was diese aus dem Thema gemacht hätten Also bleibt dem Publikum nur über, bis zum bitteren Ende auszuharren. Inge Brücklmeier als Tai-Tai („Madame“ hier zum Eigenamen erhoben) und Moog als Meister des Tao ziehen sich am besten aus der Affäre.

Shakespeares „W ie es euch gefällt" breitet allen Glanz eines burgundischen „Herbst des Mittelalters“ und einer alteuropäischen liebes- und lebensseligen, höfischen und ländlichen Gesellschaft auf der Bühne des Theaters aus, bevor damals in Europa die Lichter auslöschten. Verweht durch den Sturm des Puritanismus, dann der Pedanterie und Moralisterei, der Erbträger finsterer Fanatiker im Zeitalter der Konfessionskriege. — Wie oft hat, in den schweren Jahren unserer Zwischenzeit, dieses Stück den sich verdüsternden Sinn der Wiener erheitert! Eine der glanzvollsten Aufführungen dieser Art war, im Wien von 1936, die Inszenierung Wa- nieks mit Alma Seidler als Rosalinde, Aslan als Jacques und Liewehr als Orlando. Nun, in diesem Herbst 1957 führt Leopold Lindtberg, selbst ein Sproß dieser Wiener Zwischenzeit, Regie im Burgtheater, und Teo Otto stellt das Bühnenbild bei:

Zauberhaft schöne Erinnerungen an burgundische höfische Wandteppiche, an Drolerien alter Wappenbücher, verschmolzen mit der Phantasie eines feinnervigen Künstlers unserer Zeit. Lindtberg tut sein möglichstes, um ein flottes, beschwingtes Spiel zu erstellen. Die entzückende Rosalinde der Inge Konradi, die wunderschöne Celia der Judith Holzmeister sind dabei die stärksten Stützen des Unternehmens. Sie stoßen sich nur, sehr spürbar, an der Sprache. An einer vergilbten, hölzernen Schulsprache, die in ihrem Brei die Verse Shakespeares zermalmt, so daß man öfter Sägespätie spürt. Damals, 1936, wurde die moderne Uebersetzung Richard Flatters gespielt. Womit wir, mitten in einer englischen Komödie, in einer Art österreichischer Tragödie stehen. Flatters Shakespeare-Forschungen haben Weltruf erlangt, seine Uebertfagung der shakespearischen Sonette, bekanntlich ein besonders heikles Unternehmen, ist zumindest hochinteressant, seine Uebersetzungen der Stücke werden von Berlin bis nahe an Wien gespielt. Hier aber vermag er sich nicht durchzusetzen, wobei sich über die Gründe der Ablehnung vielleicht ein Buch über Kabale und Haß der Cliquen der Zwischenkriegs- und Nachkriegszeit schreiben ließe.

Schade um Shakespeare. Die Dehnungen und Längen der Aufführung sind hauptsächlich der unhandlichen Sprache zu verdanken. Am Spielwillen der Spieler liegt es nicht. Das wird besonders stark spürbar an der außerordentlichen Leistung Albin Skodas als Jacques. Seine Meditation im zweiten Aufzug, siebenter Szene, „Die ganze Welt ist Bühne“, ist nicht nur ein artistisches Kabinettstück, sondern gehört mit seinem Lied der Gascogner Kadetten aus dem Cyrano de Bergerac zu den Meisterleistungen der Schauspielkunst, ist „Burgtheater“ im besten Sinn des Wortes.

Neben ihm die edlen Männer und Frauen, die da vom Spielherrn aufgerufen werden, die Kraft der Liebe und des freien Sinnes zu bewähren und zu bezeugen: Peter Arens als Orlando, Janatsch als Oliver, Liewehr als Herzog, Moog als Friedrich. Unter Führung Hermann Thimigs als Probstein, der Narr, spielt ein junges, begabtes Volk den Schelmenpart des Stücks: Gusti Wolf, Lona Dubois, Moritz Milar. Nicht zu vergessen Richard Eybner als Pfarrer Textdreher. Reicher Applaus!

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