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Ein österreichischer Shakespeare

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Das Burgtheater hat am Vorabend der Wiener Festwochen diese eingeleitet durch eine prächtige Shakespeare-Aufführung von „M a ß f ü r M a ß“. Regie Leopold Lindtberg), Bühnenbild (Teo Otto) und Ensemble mögen die Ehre teilen, die diese Aufführung den Mitwirkenden einbringt, dem Publikum bleibt ungeteilte Freude. Es ist kein Zufall, daß die Engländer selbst mit dieser Komödie wenig anzufangen wissen, wie Richard Flatter im Nachwort zu seiner leider nicht herangezogenen Uebersetzung (sie hätte das Oesterreichische noch mehr unterstrichen) an vielen Beispielen verständnisloser englischer Kritik vermerkt. Hier ist Shakespeare, der Oesterreich nicht kannte, und für den „Vienna“ wie sein Venedig und Verona in der alteuropäischen Welt der Fabel beheimatet ist, und der wohl kaum ein Katholik mehr war, wie neuere Untersuchungen vermeinen, „österreichisch“, „wienerisch“ und „katholisch“, alle drei in einem weltgültigen Sinne, der zu denken gibt. Dieses Spiel um den Tod gibt nämlich, im Weinen und Lachen eine Lebenslehre, wie sie altösterreichische Lebensweisheit und katholische Gnadenlehre gebaut haben: „Gerechtigkeit“, als blutleere Doktrin, die der Wirklichkeit des gelebten Lebens nicht achtet, führt ebenso zu Mord und Sünde, wie eine Religiosität, die ihre selbstsüchtige „Tugend“ und „Reinheit“ über die Hingabe und Einsicht, über das Verzeihen stellt. Erbarmungslos sind, je auf ihre Art. die beiden Gegenspieler Angelo und Isabella. Beide scheitern, weil sie aus eigener Kraft nicht den Panzer ihrer angemaßten, tief hochmütigen Selbstgenügsamkeit aufbrechen können. Der junge, hochintellektuelle, theologisch gebildete Angelo wird, als Stellvertreter des Herzogs Vin-centio, durch seinen Hochmut zur Wollust und zum Verbrechen verführt. Sein präsumtives Opfer, Isabella, will ihren Bruder abschlachten lassen, weil sie, die Novizin, ihre Keuschheit nur als Selbstbewahrung versteht. Shakespeare hat hier ein Lehrstück nicht nur gegen den „cant“, gegen den Puritanismus, Scholasti-zismus und eigentümlichen spirituellen Hochmut einer gewissen englischen Führungsschicht geschrieben, sondern, positiv, ein Musterbeispiel österreichischer Erziehung zu einem vollmenschlichen Leben gegeben. „Leben und leben lassen“ — im Hochsinn des Wortes lehrt der wahre Sieger, Herzog Vincentio (in seinem erlauchten Namen das Sieghafte als das Heilende ansagend). Wer, als Regent, das LInkraut und die Sünde allzu jäh ausrotten will, rottet das Leben selbst aus. Wer fromm auf eigene Faust sein will, gefährdet das Leben des Nächsten und verstarrt sein eigenes in Enge und Dürre. — Dieser Herzog wird nun durch Attila Hörbiger im strahlenden Glänze eines österreichischen Lebe-Meisters (nicht Lese-Meisters, um mit Eckhart zu sprechen) dargelebt. Er ist die Gnade und Begnadung, er ist die Sonne, welche die in Angst, Terror, Dürre erstarrende Erde auftaut, und die Menschen zu einem reiferen Leben erlöst. Vier Ehen — allen Richtungen und Dimensionen des Himmels und der Erde zugewandt — krönen sein Erziehungswerk. Hofmannsthal, der Be-denker österreichischer Weltordnung als einer heiligen Ehe zwischen Himmel und Erde, Mann und Frau, muß hier seine tiefsten Anliegen erfüllt gefunden haben. Angelo wird mit der von ihm treulos verlassenen Marianne vermählt: in der Leistung der Ehe soll er sein todwürdiges Verbrechen sühnen (Albin Skoda und Höbarth). Claudio erhält seine Geliebte, Julia, als Gattin: Verliebtsein soll durch die Fhe zu Liebe reifen. Lucio, „ein phantastischer Schwätzer“, ein „Kavalier mit Strupfen“ (Flatter; prächtig in dieser Rolle Liewehr) soll durch die Vermählung mit seiner drallen Dirne zum Manne, der Verantwortung für die Frau trägt, erzogen werden. Der Herzog erzieht sich selbst zur höchsten spirituellen Reife, indem er Isabella, die vor ihrer eigenen Reifung ins Kloster geflohene Novizin, zur Gattin nimmt und dergestalt ihre eben begonnene Wandlung sichert. Annemarie Düringer arbeitet glaubwürdig diesen beginnenden Wandlungsprozeß heraus. — Die glänzende Besetzung auch aller Nebenrollen, nicht zuletzt durch die Brüder Hans und Hermann Thimig. die Einfärbung der Sprache ins Wienerische, verstärken das Blutvolle, Lebendige dieser Aufführung, die geeignet ist, den vielen auswärtigen Besuchern der Wiener Festwochen ein gültiges Zeugnis österreichischer Theaterkultur vorzustellen.

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