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Um eine Kinderzeitschrift

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Wer in Liebe sich unserem Land und unserer Zeit zuwendet, dem werden die Augen hingelenkt auf die brennendste Not: auf die seeiische und geistige Verwahrlosung und Verlassenheit der Kinder.

Wer alles zurückstellt und die Not dieser Kinder zu lindern versucht, der kann sich verantworten. Wer mit letztmöglichem Einsatz der neuen Generation, die uns in den Kindern erwächst, Atemraum schafft, der drängt das Dunkel der Nacht zurück und schafft Raum dem Tag. Er gehört zu dem kleinen Kreis der Verschworenen, die an dem Schwerpunkt dieser Zeit ansetzen und sie noch aus den Gleisen einer sich tot-' laufenden Mechanisierung des Schöpferischen zu heben vermögen.

Groß ist die Zahl der äußeren Zeichen der Verheerung, die an dem so kostbaren Leib der Kindheit stattgefunden hat. Mühelos kann sie ablesen, wer mit offenen Augen lebt: Tausende elternlose Kinder in Flüchtlingslagern, Millionen von ihnen in den Baracken' ganz Europas; vagabundierende Kinder in den Wäldern und Bergen verschiedener Länder; die blassen, scheuen Gesichter in unseren Volksschulen, die jugendlichen Verbrecher in den Strafanstalten . . .

Die Kette der trostlosesten Not ließe sich noch lange fortsetzen und mit Bangen denken wir, daß die Kinder der erste Spiegel sind, in dem das Bild der künftigen Generation erscheint. Doch es muß noch Schlimmeres ausgesprochen werden: daß diese Bilder die Gefahr, in der die nächste Gene.-ration schwebt, nicht einmal in ihrem ganzen Umfang aufzuzeigen vermögen. Denn nicht immer lassen die äußeren Zeichen der Verwahrlosung auch auf das Ausmaß der inneren schließen. Die Bedauernswertesten finden sich heute wie in den Armenvierteln genau so in den wohlbehüteten Kinderstuben unserer Bürger; jene ärmsten der Kinder, denen ihr Kindsein zerstört wurde.

Um wieviel mehr sind die Kinder zu bedauern, die ihrer schöpferischen Macht der Phantasie und ihrer poetischen Schau der Umwelt verlustig gegangen sind, als jene, die im Besitz dieser zauberhaften Kräfte an Kleidung und Nahrung Mangel leiden.

Nicht das Kind, das keine Puppe zum Spielen hat, soll unser Mitgefühl erwecken, sondern jenes, das nicht mehr die Kraft der Verwandlung besitzt, mit einem grobgeschnitzten Scheit Holz zu spielen, als ob es das schönste Puppenkind wäre. Unsere ganze Liebe sollen wir nidit in erster Linie dem. Kind zuwenden, das uns arm erschemt, weil es keine Bilderbücher hat, sondern dem, das an seiner Umwelt nicht mehr staunend und gläubig das Märchen sieht.

Wer diese Tatsachen erkennt, wird die Verantwortung fühlen, zu helfen. Er wird sich nach ,Gleichgesinnten umsehen und sie zu einer Werksgemeinschaft aufrufen und mit ihnen jedes Mittel ergreifen, hier zu retten, was noch nicht ganz verloren ist.

Aus dieser Gesinnung der Verantwortung hat vor einem halben Jahr ein Arbeitskreis junger katholischer Künstler, Lehrer und Stu3enten als ersten Versuch unternommen, mit einer Kinderzeitschrift in die Bresche zu springen.

Es war einleuchtend, daß eine Kinderzeitschrift, die eine so lebendige Aufgabe erfüllen sollte, wahrlich ein anderes Aussehen tragen mußte als alles bisher Gebotene. Die Erwartungen waren groß, der Maßstab der Kritik streng. Wedeij die Trockenheit eines rein literarischen, pädagogisch erklügelten Erzeugnisses, noch ein humoristisches Witzblatt oder gar die Tendenz einer parteipolitischen Propagandaschrift konnte entsprechen. Eine aus den aufgezeigten Gründen geforderte Kinderzeitschrift muß aus dem mütterlichen Geist der Liebe erzählen. Aus dem Streben der Umfassung aller Bereiche und der Absicht, dem Kinde eine Gesamtschau zu vermitteln, mußte sie eine katholische Kinderzeitschrift werden.

Aus den eigenen schöpferischen Leistungen der Kinder wurden Stil und Darstellungsweisen abgeleitet und versucht, aus der Dichtung und den bildenden Künsten auszuwählen, was vom Kinde als Eigenes zum Eigenen aufgenommen werden kann.

Wir sind heute nicht imstande, unseren Kindern genügend Brot und Milch zu reidien; aber wir sind imstande, aus den Kräften unseres Glaubens, aus dem Reichtum der Dichter, aus den Märchen unseres Landes und aus dep guten Willen unserer eigenen schenkenden Liebe, sie zu Menschen wachsen zu lassen. Wir sind heute nicht imstande, in unserem Volk' aus den Blöcken der Masse Persönlichkeiten zu formen; aber wir sind imstande, die Verproletarisierung in der aufwachsenden Generation durch die Erziehung zum schöpferischen Menschen ' zu überwinden. Wir vermögen es, durch künstlerische Erlebnisse in den Seelen der Kinder eine reine Welt aufzubauen, nach deren Bild sie dereinst selbst die Welt der Zukunft formen werden.

Die scheinbar so zwecklosen Spiele der Kindheit gilt es zu retten und die Träume der Jugend zu bewahren, denn sie sind die geheimsten Triebkräfte jeder Leistung und jeder Tat.

Ein halber Jahrgang der Kinderzeitschrift „Der goldene Wagen“ liegt nun vor. Wegen der täglich allerorts aufgezählten Schwierigkeiten nur sechs dünne Hefte; aber sechs Hefte voll mit Ernst und Frohsinn, die in monatlicher Fortsetzung allen Verantwortlichen die Mittel in die Hand geben, unseren Kindern Lese- und Bildstoff zu bieten, der ganz der Reinheit und Lauterkeit dieses Alters entspricht.

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