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Ungleiches Maß

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Im Kreuzfeuer betont unfreundlicher Kritik hat der nun schon sagenhafte Hamburger ,.Faust“ Goethes in der Inszenierung Gustaf Gründgens’, der auch den Mephisto spielte, in einer Farbfilmfassung Peter Gorskis seine Wiener Premiere erlebt. Die Größe der Bühneninszenierung ist nicht eben häufig zu ahnen. Der Filmfassung wurde auch von Deutschlands Kritikern nichts geschenkt. Die Wiener Kollegen taten ein übriges und spielten jetzt die seinerzeit von ihnen selbst giftig verbellten Wiener Burgtheaterfilme (die in diesen Spähen immer wieder in Schutz genommen werden mußten) gegen den deutschen Film als wahre Offenbarungen aus! Wenn auch nicht gerade in der Mitte, liegt die Wahrheit doch zwischen einzelnen begeisterten deutschen Superlativen und den stark politisch belasteten, gereizten Wiener Negativen. Es kommt dazu, daß seit eh und je gut die Hälfte der Wiener Filmkritiker vom Theater her kommt und daher mit falschen Maßstäben leicht zur Hand ist. Die unbefangene Film- und Nurfilmkritik wird an dem Faust-Film manches verunglückte „Überfilmische“ (Prolog im Himmel, Erdgeist, Walpurgisnacht), aber auch wieder filmische Lichtblicke (Atompilz, Domszene) feststellen. Gründgens’ Mephisto ist Komödiant par ex- cellence, wie sie große Mephistos (Pallenberg!) immer gewesen sind. QuadfliegS Faust ist trotz dem Sohnellsprechen und Unterspielen diskutabel, Ella Büchis Gret- chen talentiert, Elisabeth Flickenschildts Marthe fast ein wenig zu hintergründig- gewichtig. Im ganzen: mindestens sehenswert, stellenweise literarisch wertvoll.

Viel, viel gnädiger pflegt die Boulevardkritik am Ort „ohne moralische Scheuklappen“ mit erotischen und Halbstarkenwellen, neuen und ur-, uralten, zu verfahren, insonderheit, wenn die Flut sie aus dem gelobten Lande solchen bon gouts daherspült. Und siehe da: diesmal war die Gelegenheit günstig: der Drehbuchautor Francois Truffaut, der Regisseur Jean-Luc Godard und der künstlerische, technische und finanzielle Berater Claude Chabro] brauten einträglich an einem einzigen Film, „Außer Atem“ Die ganze Neue Welle sozusagen verströmte ihre Säfte und Kräfte. Das Ergebnis ist darnach, wahrhaftig. Amerikanische Gangsterkreaturen bleiben weit zurück, wenn dieser Sexualstrolch Michel Polizisten umlegt, Autos stiehlt und harmlose Menschen niederschlägt, um seinen Mokka bezahlen zu können, aus dem Auto herausspringt, nur um einem Mädchen die Röcke hochzuheben, wie ein Vieh lebt und verreckt und dabei philosophische Offenbarungen von der Art „Leiden ist ein Kompromiß, ich aber will alles oder nichts" ausspuckt. Den drei Schöpfern des Films aber werden allerorten ästhetische Herkulestaten von säkularem Ausmaß nachgerühmt, das Abgefeimte und Unnatürliche ihres Tuns rügt kaum einer, und niemand wirft die Frage auf, wie ihnen wohl zumute wäre, wenn so ein iuvendlicher Held von ihren Gnaden auf der Straße auf sie zuträte und ihnen aus purer Langeweile (alles oder nichts) ein paar Saftige verabreichte.

Roman H e r 1 e

Fi1mschau (Gutachten der Katholischen Filmkommission für Österreich): II (Für alle zulässig, ab 10): „Alle lieben Pollyanna“ — III (Für Erwachsene und reifere Jugend, etwa ab 16): „Faust“ , „An heiligen Wassern“ — IV (Für Erwachsene) : „Wir wollen niemals auseinandergehen“, „Volare“, „Gaunerserenade“ „Unterwelt", „Zahl oder stirb“ — IV a (Für Erwachsene mit Vorbehalt): „Das kunstseidene Mädchen“, „Maciste, der. Rächer der Pharaonen“, „Der Schelm von Salamanca“, „Zelle R 17“, „Kleines Mädchen, große Dame“ — IV b (Für Erwachsene mit ernstem Vorbehalt): „Im Namen einer Mutter", „Der Favorit der Zarin“, „Sensation auf Seite 1", „Telephon Butter-’ Seid S“. ..Der Mann in der Schlangenhaut" — VI (Abzulehnen): „Außer Atem“.

‘ = sehenswerte Filme.

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