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Unter den vier Winden

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Was uns das Werk der Dichterin Irnma von Bodmershof — die am 10. August siebzig Jahre wurde — so schätzens-und liebenswert macht, hat eine andere große österreichische Erzählerin, Martina Wied, neidlos-anerkennend einmal zu umreißen versucht: sie wies darauf hin, daß in ihm alle immanente Selbstgefälligkeit fehle, daß die wohlgefügte Sprache von jeder Manier frei sei, daß der geistige Gehalt, die überlegene Weltschau, die echte Herzensbildung die entscheidenden Kräfte in den Büchern Imma von Bodmershofs sind.

Jeder ihrer vier Romane ist, von dieser Gemeinsamkeit abgesehen, thematisch und stilistisch, von den anderen so verschieden, daß es nicht leichtfällt, die gleiche Autorin zu erkennen. Dies bedeutet indes keinen Mangel an Eigenart, vielmehr eine Vielfalt der Möglichkeiten, die der Dichterin offenstehen. Ihr Erzählertalent hat sich jeweils Nahrung aus dem geistig-seelischen Erlebnis des Kulturkreises geholt, dem ihre Werke gelten, sei es das niederösterreichische Bauernland, sei es Flandern, sei es Italien. Überall ist die Natur mehr als eine Kulisse des Geschehens. Vom Realen dringt die Dichterin ins Irreale, vom Gegenständlichen ins Magische, vom Physischen ins Metaphysische.

Im Roman „Der zweite Sommer“ (1937) wird die Geschichte einer jungen Gutsbesitzerin erzählt, die nach dem Tode der Eltern ihr Anwesen selbst zu verwalten hat. Durch die Tradition ihres Geschlechtes gebunden, hängt sie an jedem Fleckchen ihrer Kindheitserinnerungen und steht hilflos der neuen Zeit gegenüber... Rasch entschlossen vermählt sie sich. Der Mann hält es mit dem Fortschritt, will ein großes Elektrizitätswerk bauen, um damit die finanzielle Not des Gutes zu überwinden. Die Ehe löst sich, doch das Gefühl bindet beide Partner noch immer so stark, daß sie es nach dem ersten Jahr der Enttäuschungen nochmals miteinander versuchen wollen.

Der Roman „Die Rosse des Urban Roithner“ (1943), der den Namen der Dichterin weithin bekannt gemacht hat, führt ins bäuerliche (waldviertler) Land. Aber das Ursprünglichere ist nicht primitiv, sondern differenziert, die Vorliebe der Dichterin für die Dämmerzustände der Seele dringt ins Hinter- und Untergründige ein.

Der folgende Roman „Das verlorene Meer“ (1952) verquickt das Leben einer flandrischen Stadt so merkwürdig mit dem Leben eines Menschen, daß es schwerfällt, beide voneinander zu lösen. Das ständige Neben- und Ineinander von Vergangenheit und Gegenwart, die Überschneidungen der Stadtbilder und der menschlichen Erlebnisse sind so verwirrend beziehungsreich und mit ungewöhnlichem Können so verdichtet, daß alles in jedem und jedes in allem zu fassen nicht leicht wird.

In dem Roman „Sieben Handvoll Salz“ (1958) macht Imma von Bodmershof Sizilien lebendig: nicht nur, wie es heute ist, sondern wie die wechselvolle Geschichte dieser in Jahrtausenden von vielen Völkern überfluteten Insel den Menschen geformt hat. Ein Deutscher, der von seinem Onkel ein Weingut am Fuße des Ätna geerbt hat, muß sich als Fremder die neue italienische Umwelt erst erobern. Um sich zu behaupten, muß er die rätselhaften Gegensätze, die aus der verschiedenen Herkunft des Volkes zusammengeflossen sind, erkennen und liebend bejahen. Die religiöse und mythologische Vorstellungswelt früherer Zeiten, wie die Lebensart der gegenwärtigen Inselbewohner, sind eingebettet in faszinierende Naturbilder, die in den Szenen des großen Vulkanausbruchs gipfeln.

Auch in einer der Erzählungen des Geschichtenbandes „Solange es Tag ist“ (1953) wird diese lapidare Welt gestaltet: in der Liebe eines Deutschen zu einem sizilianischen Mädchen. In dieser Vorwegnahme ihres großen Romanthemas zeigt Imma von Bodmershof, daß sie auch Meisterin der knappen Kleinform ist. Bis zur Liebe für das Haiku, dieser konzentriertesten aller sprachlichen Kunstformen, drängt die Gabe der Verknappung und Verdichtung. Die 1958 mit dem Großen österreichischen und 1965 mit dem Preis des Landes Niederösterreich ausgezeichnete Dichterin hat uns „Haiku“ (1962) geschenkt, die ihrerseits wieder ins Japanische übertragen wurden: Außenschau und Einsicht decken sich vollkommen.

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