7092184-1994_33_11.jpg
Digital In Arbeit

Urlaub an der Mauer zum Süden

19451960198020002020

Daß man Kärnten auch anders sehen kann als die Fremdenverkehrswerbung, beweist der Kärntner Egyd Gstättner.

19451960198020002020

Daß man Kärnten auch anders sehen kann als die Fremdenverkehrswerbung, beweist der Kärntner Egyd Gstättner.

Werbung
Werbung
Werbung

Kärnten ist wahrscheinlich das schönste aller Bundesländer, Klagenfurt die schönste aller Landeshauptstädte, im Winter als Eislaufplatz prädestiniert, im Sommer als Spazierschwimmland, insgesamt als Urlaubsland. Ich kann das einigermaßen beurteilen, ich mache zwölf Monate im Jahr in Kärnten Urlaub, wenn auch zugegeben nicht sonderlich luxuriös; es ist eine Art Mansardencamping. Das Problem ist freilich, daß sich die meisten Kärntner eine solche Existenz als Guckkästchenkärntner nicht leisten können und ästhetische - Kriterien auf die Landschaftsmaler abschieben. Das Problem ist, daß die meisten nicht wie ich fiir oder zumindest in Kärnten leben können, ohne von Kärnten leben zu müssen. Das gilt übrigens auch für die Landschaftsmaler.

„Urlaub bei Freunden“, heißt es im Werbeslogan. Familienfreundlich, umweltfreundlich, menschenfreundlich, gastfreundlich, scheißfreundlich. Auch jenseits touristischer Kapriolen sind die Kärntner tatsächlich ausländerfreundlich, vor allem was die Auslandskärntner angeht, ob tot oder lebendig: Robert Musil, Ingeborg Bachmann, Peter Handke, Peter Turrini, Udo Jürgens, Dagmar Koller, Franz Klammer, Franz Wohlfahrt. Gerne würden wir auch wieder einmal einen Bundeskanzler verschicken, daran basteln wir gerade.

Ich will hier aber gar nichts von den Landespolitikern erzählen, nichts von Wirtschaftsflauten, Freunderiwirtschaft, Unkultur, Stagnation und Ignoranz, nichts von Spießbürgern, Borniertheit und Bretteijausenseligkeit, das kennt man, und Skandälchen sind nicht meine Sache. Aber man muß mindestens zwölf Monate im Jahr hier müßiggehen, um auch ohne jeden kleinpolitischen oder kleinphilosophischen Gedanken zu wissen, daß auch selbst das wahrscheinlich schönste aller Bundesländer noch nicht unbedingt ein schönes Land ist. Es ist keine Kunst, schöner als Wien zu sein, und schöner als Niederösterreich zu sein, ist auch keine Kunst. Kärnten ist keine Kunst. Aber man muß lebenslänglich hier leben, um zu wissen, was es heißt, wohl im südlichsten, aber gleichzeitig im Süden am brutalsten abgeschnittenen Land zu leben.

DIE KÄRNTNER KATASTROPHE

Psychographisch gesehen sind die Karawanken die eigentliche Kärntner Katastrophe. Sieht man die Karawanken, sieht man eine gigantische Gefängnismauer. Umso näher man sich vom Norden her an diese Gefängnismauer heranwagt, desto beklemmender wird das Gefühl, die Situation ist wortwörtlich völlig aussichtslos. Jeder mediterrane Gedanke zerschellt an der frustrierenden schwarzen Wand. Große Dichter, große Maler und große Komponisten sind hier zerschellt, und das Zerschellen geht unaufhörlich weiter. Wer sich hier ernsthaft niederläßt, der muß vom Leiden alles wissen wollen. Ein Volksbegehren zur Nie- derreißung der Karanwanken würde ich in meiner Südsucht sofort unter schreiben, selbst wenn mich der sogenannte Heimatdienst und all seine xenophobischen Schreibtischpartisanen dafür in Grund und Boden verdammten. Die Politik ist ja gestorben und vorbei, nur finden solche Volksbegehren nicht statt.

Im Schatten der Karawanken, das heißt: im Rosental und im Jauntal, sind jedenfalls nur Menschen denkbar, die Tag für Tag immer mehr der Morbidität verfallen: Urlaub bei Freund Hein. Anders wäre es unverständlich, daß es Leute gibt, die auf der Nordseite der Krawanken hinaufklettern und dann auch wieder auf der Nordseite herunterklettem. Anders wäre es vollkommen unverständlich, daß es Leute gibt, die sich am Kamm des Plöschenbergs freiwillig ununterbrochen in die fruchtbare Felswand hineinstarrende Wochenendhäuser bauen, in diese Geologie zum Heulen. Das gebirgsgesteinbedingte Heulen kommt auch deutlich im Liedgut der Region zum Ausdruck. Wer das sprichwörtliche Jammertal sucht, findet es detailgetreu im wortwörtlichen Jauntal und Rosental, und er findet in den in die Karanwankenfelswände hineinstarrenden Wochenendhäusern das Zentrum der Jammerarien, die wahre Kärntner Oper.

Tristitia publica, tristitia rustica, tristitia privata, selbst die Folklore ist ausschließlich elegisch und jenseitsbezogen und läßt auf demolierte Seelen schließen, es ist wirklich ein Jammer. Außer einem gewisser maßen saisonbedingten kümmerlichen Brunstgehabe bietet das Liedgut nichts als masochistische Liebeserklärungen an das froststarre finstere Licht, in das die Chöre gleich nach der Brunstzeit gerne eingegraben werden möchten. Die ganze Region ist seit Menschengedenken von dieser unheilbaren Karawankenplage verseucht. Klagenfurt sagt ohnehin schon alles.

Natürlich dementieren die Betroffenen ihre Depressivität bei jeder Gelegenheit, natürlich will in Wirklichkeit vom Leiden niemand etwas wissen, und alle flüchten sich vor lauter Karawanken in Übersprungsheiterkeit und Übersprungsgeselligkeit und Übersprungssportplatzbesuche und Übersprungszeltfeste und Übersprungsvolksgruppenpolitik. Es läßt sich häufig beobachten, daß kranke Menschen politisch werden, um ihre Krankheit zu übertünchen. Aber vor und nach der Politik kommt aber wieder Moll.

Wenn man bedenkt, daß sich die Lyrik ursprünglich von der griechischen Lyra, also von der Leier ableitet, dann ist das pathologisch schwermütige unterkämtner Geleier mit seinen bis zur Unerträglichkeit ausgedehnten Vokalen wahrscheinlich durchaus im Sinn des Erfinders. Nicht zufällig treten auch die unter- kärntner Grenzlandchöre mit ihrem Melodienreigen auch hauptsächlich bei Begräbnissen auf, wenn wieder einmal einer, wie es heißt, in Schönheit gestorben ist.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung