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Träume aus Angst und Hoffnung

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Vor Jahren - es muß noch vor der Zeit gewesen sein, als in Osterreich die Muttersprache geheim erhoben wurde - träumte ich einmal, in ZiB-1 werde gezeigt, wie Delegationen um Delegationen aus aller Welt am Kla-genfurter Flughafen landen, dann von Blasmusikkapellen und ei-

nem Männerchor am Hauptbahnhof verabschiedet werden, um weiter ins Rosental zu fahren.

Riesige Container werden in den „Ferlacher Vicke" (so nannten wir die Lokalbahn von Klagenfurt nach Süden) verladen; Japaner, Chinesen, Neger, Experten, Diplomaten, Journalisten steigen ein. Ein Bild größter Wichtigkeit. Schon bewegt sich die Expedition von Feistritz/R. hihauf zur Stou-Hütte und weiter zur Klagenfurter-Hütte.

Unten im Tal blühen schon die Schneerosen — im Traum wird man offensichtlich von der Sentimentalität eingeholt -, oben in den Karawanken schwingen Schilehrer dem seltsamen Zug entgegen. Das Gewirr der verschiedensten Sprachen riecht nach gutem Schnaps. Die Sonne scheint und es wird gearbeitet: aus einem der Container werden gehobelte Fichtenbretter geholt, Tischler, durchwegs Einheimische, bauen damit ein Bücherregal zwischen zwei hohen Nadelbäumen irgendwo im Wald.

Der Inhalt der anderen Kisten erweist sich als riesige Bibliothek, die nun sorgsam geordnet wird. Eine Gruppe in weißen Mänteln schlägt ständig in den wissenschaftlichen Texten nach, ein weiteres Team zieht mit Blechkanistern los, die im Gegensatz zur eleganten Gesellschaft und zu deren perfektem Instrumentarium stehen — verbeult, rostig. Rote Farbe ist darin, und mit breiten Pinseln wird der Schnee markiert. Strich, Punkt, Strich, Punkt, Strich …

Die Grenze. Wie im Atlas. Dann ein Wildbach. Was jetzt? Ein schwarzer Taucher übernimmt einen der Farbkübel und taucht damit unters Wasser. Das muß schrecklich kalt sein, denkt der Träumende, aber andererseits muß die Grenze ja weitergehen, auch im Bachbett.

Zuletzt sah ich rote Farbschlieren den Wildbach hinuntertreiben. Dazu ertönte — noch immer im Traum — das Kärntner Heimatlied; vielleicht bilde ich mir jetzt ein, genau die Verszeilen „Wo man mit Blut die Grenze schrieb/ und treu in Not und Tod verblieb" gehört zu haben.

Heimat, so ließe sich aus diesen Bildern eine erste Definition ziehen, ist jene Gegend, wo sich das Außerordentliche abspielen soll. Wo man geboren ist und die Kindheit verbracht hat, gerade dort möge sich die gesamte Geschichte der Gewalt selbst ad absurdum führen, mögen sich die verschiedenen Kulturen untereinander und mit der Natur versöhnen.

Auch wenn man nur im Nachbarbundesland lebt, ruft das Wort Heimat doppelte Gefühle hervor: Dankbarkeit dafür, daß einem lebensgeschichtlich eine Erfahrung geschenkt wurde, die den Wunsch, die ganze Welt solle friedliche Heimat sein, überhaupt erst möglich macht - Empörung darüber, daß gerade im Herkunftsland noch inmier/schon wieder…

Was? Ach, das zu sagen fällt schwer, denn man weiß ja inzwischen, daß es anderswo auf der Welt Gegenden gibt, in denen die Politik haßerfüllter, der Glaube schwächer, der Unglaube dümmer, die Umweltzerstörung brutaler, die Korruption größer, die Arbeitslosigkeit höher und so weiter sind.

Aber tröstet das, macht das Hoffnung? Ist mit der immer möglichen Selbstbeschwichtigung der Inbegriff „Heimat" nicht schon durch die enttäuschende Rede vom „kleineren Übel" ersetzt worden?

Andererseits mache ich mir von meinem unbewußt immer in den Karawanken stehenden Bücherregal aus nicht nur schwermütige Gedanken. Kärnten kann der Rolle, die ihm am Schnittpunkt dreier Kulturen - der romanischen, der slawischen und der deutschen — und verschiedener politischer Systeme beziehungsweise Bündnisse zufällt, gar nicht ausweichen.

Das Land muß schon wegen seiner geografischen Lage zunehmend die politische, kulturelle und religiöse Inter-Nationalität entdecken. Weil es weitestgehend auf den Fremdenverkehr angewiesen ist, kann sich hier schon aus ökonomischen Gründen mehr ökologisches Bewußtsein ergeben als vielleicht anderswo. Und weil das alles so evident ist, wird vielleicht einmal sogar die ungeheuer reiche zeitgenössische Kunst Kärntens nur als zornige, oft enttäuschte, unerbittlich auf Mängel hinweisende Variante jener Heimatliebe begriffen werden, wie sie die traditionellen Kärntnerlieder besingen.

„Fein sein, beinända bleibn", einmal ein Folk-Song, den wir Kärntner, wir Völkergemisch aus Jahrtausenden, mit all jenen singen werden, die uns in Angst- und Hoffnungsträumen erscheinen? Wer weiß. Es gibt noch ungeschriebene Geschichtsbücher und leere Bücherregale.

Der Autor, geboren 1943 in Klacenfurt, studierte Theologie und ist seit 1971 m der Hochschulgemeinde Graz tätig.

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