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Verfehltes Spiel

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Das Wiener Burgtheater eröffnet das neue Jahr mit Bernard Shaw. De mortuis nil nisi bene: muß man von diesem seinerzeit maßlos überschätzten Jongleur mit den Gedanken anderer gerade ein Spiel zu neuem Leben zu erwecken suchen, das bereits bei seiner letzten Aufführung in den Kammerspielen peinlich gezeigt hat, wie falsch seine Fragestellungen, wie verblichen sein Glaubensbekenntnis, wie fehlkonstruiert seine Thesen sind? „Der Arzt am Scheideweg“. Wer will heute noch diese Farce glauben? Ein halbes Dutzend der hervorragendsten Aerzte Englands balgt sich mit einem jungen Burschen herum, der möglicherweise etwas von ein^i Malergenie in sich hat, der sie alle düpiert, zuletzt mit einem emphatischen Glaubensbekenntnis (Ich glaube an Rembrandt, Michelangelo...) auf den Lippen auf offener Bühne stirbt, da der eine Arzt, der allein das heilende Serum richtig anzuwenden weiß, aus verliebter Gier ihn sterben läßt. — Dieses Stück ließe sich, wenn es etwa gespielt werden muß (auch das ließe sich denken: einer der maßgeblichen Herren spricht gegen Ende des Stückes den Satz aus, den der Shaw der Fabian-Society damals selbst glaubte: wenn es keine Privatärzte mehr gibt, dann werden solche Fälle nicht mehr vorkommen), wenn es also etwa gespielt werden müßte, um die These jener Richtung, welche die Kollek-tivisierung des „Aerztematerials“ fordert, zu belegen, dann müßte es eben ganz anders geschehen: als todernstes Drama oder aber auch als reine Burleske. Die verfehlte Aufführung der Burg (der Regisseur sei aus Schamhäfrigkeit verschwiegen) läßt dem Unheil freien Lauf: jeder Schauspieler tut, was er will. Werner Kraus läuft über die Bühne, mit Märzchen, die sich bei den Pradler Ritterspielen sehen lassen können. Seine vier Arztgenossen versuchen sich nicht uneben als Clowns, Josef Meinrad, mit einer Van-Gogh-Maskc (vielleicht ungewollt; auf jeden Fall aber eine arge Geschmacklosigkeit) stirbt mit der überzeugungslosen Pathetik eines „Boheme“-Hel-den, Judith Holzmeister nimmt die ganze Sache furchtbar ernst, so als ob eine Shakespearesche Tragödie zu spielen wäre, dieweil tatsächlich, aber nur fan Scherz, versteht sich, einer der Herren am Schluß noch Shakespeare zitiert. — Shaw hat sich in einem langen Leben das gesunkene Kulturgut und die dritt-klassigsten Gedanken des 19. Jahrhunderts (es gibt auch ein anderes 19. Jahrhundert) fleißig zusammengelesen, und verstanden, daraus Kapital zu machen. Warum auch nicht? Das ist das gute Recht jedes Lustspielautors und Tantiemenbeziehers. Das ist aber kein Grund, ihm unser Staatstheater für eine seiner wenigen kostbaren Premieren zur Verfügung zu »teilen.

Das Lustspiel „Donna Diana“ von D. A. Moreto ist durch viele Jahrhunderte und viele Hände gegangen, ehe es Anno 1953 im kleinen Theater im Palais Esterhäzy wieder einmal neu auf die Bretter gestellt wurde. Es hat viele Bearbeitungen erlebt — die jetzige geht auf die von Josef Schreyvogl zurück und stammt aus dem beginnenden 19. Jahrhundert — und oftmals seinen Namen ändern müssen. Aber man kann es auch heute noch sehen. Moreto, Landsmann und Zeitgenosse Calderons, hat ein leichtes Spiel um Liebes werben und Liebesglück geschrieben und ein unerschöpfliches Thema gerade so wek angeschnitten, daß sich daraus eine abgerundete kleine Geschichte ergab. Ob die Aufführung eines solchen Stückes in historischen Gewändern nicht von vornherein die Möglichkeiten einer kleinen Bühne übersteigen mußte? Es zeigte «ich, daß Spiel und Regie dieser Aufgabe — vor allem Im ersten der drei Akte — nicht ganz gewachsen waren und zuviel übertrieben. Erat gegen Schluß fand sich das Ensemble zu harmonischem und wirkungsvollem Zusammenspiel.

„Morgen ist auch ein Tag“, eine Komödie von Heinz Coubier, wird im Theater der Courage gespielt. Eine Reihe flüchtig aneinandergehefteter Bilder bringt lose Witzeleien, die an einet dünnen Handlungskette aufgefädelt wurden. Di« mehr oder weniger harmlosen Stichworte über Liebe und Ehe erschienen zu altbekannt und gleichartig, um noch ein Lächeln zu gestatten. Sie waren offensichtlich für die Anspruchslosigkeit einer Tischgesellschaft berechnet, die sich Wasser in Wassergläsern als Sekt servieren läßt. Die Aufführung verstand es, aus dem Wenigen ein Nichts zu machen.

Wieland Schmied

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