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Vielfältiges Antlitz Indiens

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Knotenpunkt Bhowani. Roman. Von John Masters. Aus dem Englischen übersetzt von Susanna Rademacher. Lothar-Blanvalet-Verlag, Berlin. 486 Seiten.

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Knotenpunkt Bhowani. Roman. Von John Masters. Aus dem Englischen übersetzt von Susanna Rademacher. Lothar-Blanvalet-Verlag, Berlin. 486 Seiten.

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John Masters, der einer seit Generationen in Indien heimischen Familie angehört, war Berufsoffizier in der britischen Indien-Armee und hat, nachdem die Engländer 1948 Indien verließen, vier Romane über das ihm vertraute und ans Herz gewachsene Land geschrieben. „Knotenpunkt Bhowani“ ist der letzte und beste von ihnen, den englische und amerikanische Kritiker Kiplings Indienhüchern und E. M. Forsters „Passage to India" an die Seite gestellt haben.

Das Faszinierendste an „Knotenpunkt Bhowani" scheint uns, daß hier sehr bewegende Einzelschicksale auf dem Hintergrund der gesamten indischen Situation geschildert, ja aus ihr überhaupt erst verständlich werden. Es ist das Indien kurz vor der Selbständigkeit, in dem es brodelt von Gegensätzen zwischen Engländern, Hindus, Mohammedanern und Anglo-Indern, in dem revolutionäre kommunistische Strömungen den eigenen Anfang bedrohen und uralte Traditionen und Vorurteile sich der modernen Entwicklung in den Weg stellen. Ein Hexenkessel, in dem alles durcheinanderwallt, in dem aber auch die Kräfte der Selbstfindung und einer unendlichen Geduld und Herzensstärke, wie Gandhi sie lebte und propagierte, langsam aber stetig wachsen.

In diesen Rahmen stellt Masters die Gestalt seiner Victoria Jones, einer Anglo-Inderin, an deren Schicksalen wir die ganze Problematik ihres Landes und ihres Blutes — sie ist als Halbinderin ja ein Mischling — miterleben. Victoria leidet an all den Komplexen und Minderwertigkeitsgefühlen ihrer Volksgruppe: „Die Engländer verachten uns, aber sie brauchen uns. Wir verachten die Inder, aber wir brauchen sie . Und sie leidet vor allem daran, daß sie Patrick Taylor, der Anglo-Inder ist wie sie, nach ihrer vierjährigen Tätigkeit im weiblichen Hilfskorps der britischen Armee während des zweiten Weltkrieges, nicht mehr verstehen kann, weil er so starr und unfrei in den Vorurteilen seiner Gruppe befangen ist, die sie zu überwinden sucht. Das erhöht Victorias Verlorenheit, und nun versucht sie, einen Weg zu finden, der sie aus ihrer persönlichen Ungeborgenheit und Unsicherheit herausführt. Sie tut es, sehr weiblich, in der Bindung an zwei Männer: an den Inder Ranjit zunächst, und dann, nachdem keine echte Beziehung zu ihm gelingt, weil beider Welten zu verschieden sind, an den englischen Offizier Rodney Savage, dem Victoria in großer Liebe und Leidenschaft verbunden ist. „Als die große Umwälzung über Indien und die Welt hinwtgfegte, hatte sie sich auf die Suche gemacht — nicht planmäßig und wohlüberlegt, sondern weil der Sturm der Umwälzung auch sie traf —. auf die Suche nach einem Ausweg aus einem Leben, das ihr jetzt klein und zum Untergang verurteilt erschien Patrick war ein Teil dieses Lebens. Er war läppisch, hilflos und verzagt geworden. Sie hatte Inderin werden wollen — aber sie war keine Inderin. Sie hatte Engländerin werden wollen — aber sie war keine Engländerin. Die Idee der Zukunft, in der sie selbst zum indischen Volk gehörte, hatte sie zu Ranjit getrieben. Die Leidenschaft der Körper, das Wissen des Weibes hatten sie zu mir getrieben. Aber wir waren am Knotenpunkt Bhowani. Sie war ein großartiges Mädchen. Sie war aus alle dem nicht hervorgegangen wie ein Filmstar mit wohlfrisiertem metallisch schimmerndem Haar und einem Gesicht, das von keinem Gedanken und keinem Schmerz berührt war. Wir sprachen über die Zukunft ihres Volkes. Wenn wir Engländer aus Indien hinausgingen, könnte sein Horizont sich über die Telegraphendrähte und Eisenbahnlinien hinaus erweitern. Dann würden sie alles erreichen können, wenn sie nur genügend Selbstvertrauen hätten. Vom Knotenpunkt Bhowani stand ihnen der Weg offen bis zu allen Horizonten Indiens.“

Diese Worte schreibt Savage über Victoria, nachdem er sie schon verloren hat, als sie sich, nach langen, aber notwendigen und fruchtbaren Umwegen, endgültig und bewußt für Patrick, und damit für ihr Volk entschieden hat. Das Zitat vermag vielleicht einen Eindruck zu geben von Masters psychologischen Fähigkeiten, nicht aber von all den kleinen und großen Feinheiten, die den eigentlichen Reiz seines Buches ausmachen. Er erzählt glänzend, und seine Methode, die Geschichte von den Hauptpersonen selbst, also von verschiedenem Blickpunkt gesehen, zu entwickeln, gibt dem Buch eine außerordentliche Spannweite und Tiefendimension. Die Gestalten sind, bei aller Vielschichtigkeit und Differenziertheit, doch sehr plastisch, und die Freude des Autors an seiner spannenden und aufregenden Handlung, verführt ihn doch nie dazu, sich in den äußeren Ereignissen zu verlieren; es kommt ihm ebenso auf die Hintergründe an, die dem Leser spürbar werden. Ueberraschend und erfreulich die Objektivität gegenüber der manchmal doch recht fragwürdigen Rolle der Engländer in dieser Schlußphase ihrer indischen Herrschaft.

Im ganzen ein ebenso bewegendes wie anregendes Buch voll Menschlichkeit und Weite, das uns eine fremde, auch für unsere eigene Zukunft sicher nicht bedeutungslose Welt und ihre Probleme sehr nahe bringt.

Dr. Anneliese D e m p f

In memoriam Albert Einstein. Herausgegeben von Carl S e e 1 i g. Europa-Verlag, Zürich, Stuttgart, Wien.

Der verdienstvolle Biograph Albert Einsteins, Carl S e e 1 i g, hat in diesem Gedächtnisband Erinnerungen von Freunden und Mitarbeitern des großen Physikers und authentische Berichte über die entscheidenden Phasen der Atomforschung der letzten Jahrzehnte veröffentlicht. Die absurde Behauptung. Einstein sei der „Vater der Atombombe“, und die an sie sich anschließenden Legenden machen es, wie Seelig sagt, notwendig, einmal auf Grund maßgebender Dokumente die Entwicklung der Atomforschung auf deutscher und alliierter Seite darzustellen. Die diese Aufgabe leistenden Beiträge von Leo Szilard, Eugene P. Wigner, Otto Hahn, Fritz Straßmann, Louis Alex. Turner, Lise Meitner,

Otto R. Frisch, Cr. Fr. v. Weizsäcker, Werner Heisenberg und Max Born sind eine dokumentarische Darstellung der Atomforschung von berufenster Seite.

Aber auch die persönlichen Erinnerungen an Einstein von Louis Kollros, Hedwig Born, Carl Seelig, Ernst Strauß, Kurt Blumenfeld und R. Kayser sind nicht nur wertvolle Beiträge zur Lebensgeschichte Einsteins, sondern auch zur Geschichte der letzten Vergangenheit. Der schmale Band von 170 Seiten ist ein zeitgeschichtliches Dokument, das uns allen viel zu sagen hat.

Univ.-Prof. Dr. Ulrich Schöndorfer

Familienväter als geweihte Diakone. Von Wilhelm Schamoni. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn. 76 Seiten.

Johann Nepomuk Seidl war der letzte, der 1884 eine erschöpfende Monographie über das Diakonat schrieb und feststellte, daß zum Beispiel in den Rand- und Landgemeinden des christlichen Altertums Diakone sehr oft Priester ersetzten. Just dieses Buch — das in Deutschland vergriffen und in Rom nicht zu finden ist, wohl aber in Oesterreich! — setzte der Verfasser fort und zeigte ausführlich die Weihe von Familienvätern zu Diakonen als eine fühlbare Ueber- windung des Priestermangels. Bewegten Herzens wird geschildert, wie „Familienväter als geweihte Diakone“ in priesterlosen Gegenden zwar keine heiligen Messen lesen, jedoch lesegottesdienste abhalten und das von der Pfarrkirche eingeholte Sakrament spenden und auf diese Weise eine Missa praesanctificatorum feiern könnten.

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