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Vom Ostwind auf Flügeln getragen

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ANNA KARENINA. Von Leo Nikolajewitsch T o 1 s t o j. Walter-Verlag, Ölten. 878 Seiten. Preis 19.80 sfr.

Es ist ein halbes Jahfliundert vergangen, seit der einstige Gutsherr auf Jasnaja Poljana im Bahnhof von Astapowo die Augen schloß; aber schon fast 20 Jahre vorher war in der wohlfeilen Reclam-Ausgabe der Roman eines Mannes zu haben, der hier, wie bekannt, eine Abrechnung mit dem „wejt-lichen“ Leben, dein eigenen und dem fremden, geschrieben hat. Eine Abrechnung mitten aus der glücklichsten Schaffensperiode heraus, einen Ab-gesang, und auch einen Prolog zu dem, was das Jahr 1891 bringen sollte. Obwohl das Problem der Ehe beherrschend im Mittelpunkt des Werkes steht, befinden sich grundsätzliche sozialphilosophische und politische Formulierungen unerhörter Brisanz darin, die mehr noch an das Wesen des Daseins rühren als die Dinge zwischen den Geschlechtern. Das von Fega Fritsch ungekürzt übertragene Werk für die „Reihe Weltliteratur“ des Verlages ist von einem Nachwort gefolgt, das Elisabeth Brock-Sulzer geschrieben hat.

ERZÄHLUNGEN UND LEGENDEN. Von Leo

Nikolajewitsch T o 1 s t o j. Union-Verlag, Berlin. 240 Seiten.

Die Volkserzählungen und Legenden stellen einen wesentlichen Teil des religionsphilosophisch bestimmten Denkens des Dichters dar; eine sich unter den verschiedenen Aspekten immer wieder erneuernde Predigt, der, wie schon Romain Rolland erkannt hat, in erfreulichem Maße alles abgeht, was Kunstbegriff des Tages heißt. Gertraud Thieme hat das Buch mit herben Holzschnitten versehen.

DIE THIBAULTS. Von Roger Martin du G a r d. Paul-Zsolnay-Verlag, Hamburg-Wien. 786 Seiten. Preis 130 S.

In seiner Jugend wnr-de Martin du Gard (18 81 bis 1958) erheblich durch Tolstoj („Krieg und Frieden“) beeinflußt. Später nahm sein Stil eine betont literarische Note an, wohl auch unter anderem Einfluß, nämlich dem der Gruppe Nouvelle Revue Francaise. Allen diesen Strömungen entwind sich aber die flüssige und — selbst hier in der Übersetzung durch Eva Mertens erspürbare — geschmeidige Sprache, der sich eine besondere, Skrupeln und Widerstände vital angehende Darstellungsform zugesellte. Der Zyklus der „Thibaults“ greift die fragwürdige Moral bestimmter Gesellschaftsschichten zwischen den beiden Weltkriegen an. Die neue, gefällige Ausgabe des lange vor der Zuerkennung des Nobelpreises von 1937 an den Autor um diesen sehr verdienten Verlages kommt eben zur rechten Zeit. Der zweite Weltkrieg ist vorüber, und die Moral unbelehrbarer und unbekehrbarer Schichten ist die gleiche üble wie vorher.

DIE PORTUGIESISCHE KÖNIGSTOCHTER. Erzählungen. Von Tibor Dery. S.-Fischer-Verlag, Frankfurt am Main. 347 Seiten. Preis 112.20 S.

Der Verfasser ist durch sein politisches Schicksal in den letzten Jahren bekannter geworden als durch seine vielschichtigen Werke, die mit Erzählungen und Versen bereits vor 40 Jahren einsetzten. Dery ist das Beispiel eines Typus der neuen Zeit, der, im Grunde genommen, immer jemanden gegen sich hat und daher ein dauernder Frondeur sein muß. Von den hier gebotenen Geschichten verdient der Zyklus „Spiele der Unterwelt“ einer Zukunft als Dokument hinterlassen zu werden, der mehr an Zerstörungen an Stein und Herz bevorstehen, als es diese Bilder aus den Tagen und Nächten der Belagerung Budapests zu schildern vermögen. — Die Übersetzung von Ivan Nagel hat sich leider vieler Ausdrücke aus der norddeutschen Umgangssprache bedient (Seite 65: ..Göre“; Seite 95: „mickrige“- wiederholt „Klappe“ für Maul). Auch fanden auswärtige Soldatenaus-drücke, wie „türmen“ und „hau ab“, Platz.

DIE FÜNFSTÖCKIGE PAGODE. Japanische Erzählungen des 20. Jahrhunderts. Ausgewählt und übersetzt von Walter D o n a t in Verbindung mit P. Y. K a w a i. Eugen-Diederichs-Verlag. Düsseldorf-Köln. 264 Seiten. Preis 13.80 DM.

Zum ersten Male wird in einer abendländischen Sprache das dichterische Schaffen moderner Erzähler Nippons vorgestellt. Der Anlaß ist aller Beachtung wert. Die vertretenen Autoren, sind: Koda Rohan, Izumi Kyoka, Mori Ogai. Akutagawa Ryunosuke. Kikuchi Kan und Tanisaki Junichiro. Das der Entstehungszeit nach älteste Werk stammt freilich noch aus dem vorigen Jahrhundert (die Titelerzählung), das jüngste aus dem Jahre 1934. Es wäre daher eine Ergänzung, welche die Zeit des letzten Krieges und die Bewältigung des Nachkriegs erkennen ließe, sehr wünschenswert. Die hier vorgelegten Stücke vertreten repräsentative literarische Strömungen, wobei es reizvoll ist, neben der traditionellen stilistischen Haltung die Einflüsse ausländischer Ideen i (der objektiven Geschichtserzählung, der Neuromantik, der Tiefenpsychologie) zu verfolgen

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