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VON DEN NERVEN UND DEM REICHE GOTTES

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Es gibt Christen, die pausenlos und unermüdlich für das Reich Gottes tätig sind. Wohl ihnen, wenn sie und ihre Umgebung es aushalten! Im allgemeinen hat aber der Mensch Erholungszeiten nötig. Gott selbst hat einen Ruhetag in deT Woche vorgeschrieben, Er, der die menschliche Natur erschaffen hat und weiß, was sie leisten und was sie nicht leisten kann.

Es wäre gut, wenn wir diese Pflicht zur Erholung ernst nähmen. Manche Schwierigkeiten im geistlichen Leben würden verschwinden — und wir würden vielleicht viel höflicher sein. Der Leib ist das Werkzeug der Seele. Wenn diesem lebendigen Werkzeug zuviel zugemutet wird, dann macht es sich leicht selbständig. Es entzieht sich mehr und mehr der Führung durch die seelischen Kräfte, und an deren Stelle treten die „Nerven“. Dann aber gleicht der Mensch einem Staat im Umsturz, in dem die Staatsführung nichts mehr zu reden hat und die untergeordneten Stellen alles allein machen. Es ist kein Plan und kein Ziel mehr da, jeder geht nach kurzsichtigen Entscheidungen vor, und das Ende ist ein Zusammenbruch.

Bei einem Nervenmenschen ist es ebenso. Er bringt nicht mehr die Kraft auf, ruhig zu bleiben und zu überlegen. Er bringt es nicht mehr fertig, eine Entscheidung geruhsam für ein paar Tage aufzuschieben, bis er sich über die Tragweite klargeworden ist. Er — das heißt sein Geist — hat überhaupt nicht viel zu reden, sondern seine Nerven machen alles allein. Es taucht etwa eine Schwierigkeit auf. Richtig und menschlich wäre es, jetzt einmal nachzudenken, worin sie überhaupt besteht, was man dagegen machen könnte, und dann einen Entschluß zu fassen. Ja, wenn das nur ginge! Die Nerven haben schon längst höchste Alarmstufe gegeben und heftige Äußerungen des Unmutes angeordnet. Der Mensch geht als Einmann-Revolutionstrupp in sich selbst auf die Straße. Fauchend vor Wut, gesträubten Haares, rollenden Auges schleudert er Anklagen gegen Schuldige und Unschuldige, beleidigt die treuesten Freunde, verzweifelt am Leben, ergreift die widersinnigsten Maßnahmen und verbraucht zehnmal mehr Zeit und Kraft, als wenn er ruhig geblieben wäre und besonnen überlegt hätte. Außerdem halten ihn die anderen für ein bißchen verrückt, und wenn er einmal in wirklich gerechten Zorn gerät, wird er von niemandem mehr ernst genommen.

Die Nerven können aber statt eines solchen Ausbruchs auch eine trübsinnige Stimmung anordnen (sie tun das gerne nachher). Sie verbieten dann jede Hoffnung, schreiben als Modefarbe ein Gemisch von Schwarz und Grau mit düsteren Quer-srreifen vor, die Schwierigkeiten haben übergroß, die eigenen Kräfte unterklein zu erscheinen, und der Mensch hat nur sein eigenes Leichenbegängnis herbeizusehnen.

Manchmal befehlen sie aber auch eine boshaft-quälerische Art: absichtliches Mißverstehen, gewollte Überempfindlichkeit, gehässige Redensarten und gutgezielte Kränkungen. Auch eine sinnlich-unbeherrschte Art kann auf ihrem Spielplan stehen, ein anderes Mal hysterische Anfälle mit Schluchzen, Mord- oder Selbäönorddrohiangen. liejaönntei aberauch gehaüsogüt ein ver-bockte-,E>auerschweigen befehlemsWerin man es recht bedenkt: es ist eigentlich viel, was sie zustande bringen. Ein Bühnendichter könnte froh sein, wenn ihm so viel einfiele, obwohl anderseits eine gewisse stupide Eintönigkeit festgestellt werden muß. Jedenfalls machen sie mit dem ganzen Menschen, was sie wollen. Er ist wie eine Telephonzentrale mit durchgewetzten Drähten und Wackelkontakten: es klingelt immer zur Unzeit, die Verbindungen schalten sich selbständig ein und aus, es funkt und kracht, und eine leichte Erschütterung genügt, um das ganze lahmzulegen.

Daß ein solcher Mensch kein rechtes Ebenbild des ruhigen, unbeirrbaren Gottes ist, sehen wir ein. Aber Gott hat eben keine Nerven, wird der Nervöse erbost schreien. Nein, Er hat keine. “ Nur wir haben Nerven, und wir brauchen sie auch. Doch sollen wir sie nicht selbständig werden lassen. Ein ruhiger, beherrschter Mensch hat schließlich auch Nerven, nicht wahr, aber sie stören

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