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Vor allem: Osterreich

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Der 1. Mai ist ein schwieriges Datum. Den einen, weil sich an diesem Tag der Demonstrationen und Umzüge, der Forderungen, der Machtkundgebungen Jahr für Jahr unbarmherziger die Überholtheit und Zeitferne enthüllt, die in. einer Epoche der sozialen Auseinandersetzung am grünen Tisch der Kammern und paritätischen Kommissionen und des Interessenausgleiches hinter den Kulissen der traditionellen Veranstaltung auf dem Ring anhaftet. Der 1. Mai ist zu alt, um emotionell erlebt zu werden. Der 1. Mai ist nicht alt genug, um in der gesamten Bevölkerung gemeinsame Assoziationen auszulösen. Als ein Beitrag in dieser Richtung, als ein Versuch, zu einem überparteilichen, allgemein akzeptablen Erlebnisinhalt für den 1. Mai zu finden, ist der folgende Aufsatz zu verstehen. Der 1. Mai soll nicht abgewertet wenden. Die Redaktion.

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Der 1. Mai ist ein schwieriges Datum. Den einen, weil sich an diesem Tag der Demonstrationen und Umzüge, der Forderungen, der Machtkundgebungen Jahr für Jahr unbarmherziger die Überholtheit und Zeitferne enthüllt, die in. einer Epoche der sozialen Auseinandersetzung am grünen Tisch der Kammern und paritätischen Kommissionen und des Interessenausgleiches hinter den Kulissen der traditionellen Veranstaltung auf dem Ring anhaftet. Der 1. Mai ist zu alt, um emotionell erlebt zu werden. Der 1. Mai ist nicht alt genug, um in der gesamten Bevölkerung gemeinsame Assoziationen auszulösen. Als ein Beitrag in dieser Richtung, als ein Versuch, zu einem überparteilichen, allgemein akzeptablen Erlebnisinhalt für den 1. Mai zu finden, ist der folgende Aufsatz zu verstehen. Der 1. Mai soll nicht abgewertet wenden. Die Redaktion.

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Demokratien und Diktaturen fürchten heute gleichermaßen die Katastrophe. Es wird eine Kraft auf den Plan treten, die die geängstigte Menschheit zu neuer Hoffnung ermutigen und zur Bewältigung ihres Daseins befähigen wird. Als die drei Astronauten mit mehr Wahrscheinlichkeit ihrem Tod entgegenrasten als dem Leben auf der Mutter Erde, da horchten Millionen und Millionen auf, und eine Welle der Brüderlichkeit ging durch die Welt, als gäbe es keine Grenzen und keine feindlichen Staaten, die sich grausam bekriegen und im gegenseitigen Wettrüsten den Rang ablaufen. Engländer, Russen, Franzosen, Japaner und Neuseeländer sandten Schiffe und Flugzeuge aus, um den drei Raumschiffbrüchigen in höchster Not beizustehen. In diesen Augenblicken empfanden wir es wie ein Wunder, daß in der von Mißtrauen und Furcht zerklüfteten Welt auch noch der Geist der Menschenliebe lebt. Wenn der Hauch auch nur kurz über den starren Eispanzer strich, ließ er doch die gepeinigte Kreatur aufhorchen und neue Hoffnung auf die entflohene Menschlichkeit schöpfen.

Solange die Menschen ihr Leben armselig in Not und Bedrückung, in Kriegsgefahr und Katastrophen beschlossen haben, hofften und verzagten sie, beteten und fluchten sie, empörten sie sich und gingen unter. Doch von Geschlecht zu Geschlecht, Stufe um Stufe, kämpften sie sich aus den trostlosen Niederungen immer höher, zum Gipfel ihrer Sehnsucht nach einem Reich auf Erden, in dem sich der feindliche Mensch zum hilfreichen Nächsten und Bruder wandle. Bald wird die Wende kommen (sie muß — bei Strafe der Vernichtung des Menschengeschlechts), die Besinnung auf die eigentliche Aufgabe dieses Erdenwesens, das da nach Brot hungert, ebenso aber nach Liebe und Geborgenheit im Kreis der Familie, im Verband seines Volkes, im geschichtsgewachsenen Heimatland.

Wie gleichnishaft mutete uns das bange Sehnen der verunglückten Astronauten in der dunklen, feindseligen Unendlichkeit an, den' wunderbaren Stern zu erreichen. Es ist derselbe Stern, auf dem in Jahrhunderttausenden der Erdenbürger au geistigem Dunkel und sozialer Verstrick theit zum Licht eines freien, seiner Natur gemäßen Geschöpfes heranreift. Die Wanderung führte seit Uhrzeiten über Schrunde und Gräben, an unzähligen sphinxbehüteten, rätselhaften Kreuzwegen vorbei.

In seltsam bunter Arbeitsteilung ist uns der Lebenskreis in Familie, Arbeitsstätte und in gesellschaftlichem Bereich auf den Ordinaten unseres Heimatlandes Österreich zugemessen. Wen es in die Fremde lockte — wie sehr sehnt er sich dorthin zurück, wo er geboren, wo er die ersten Schritte getan und heranreifte. Und wie der Mensch auf zwei Beinen zu gehen gelernt hat und links und rechts zu zweckdienlicher Bewegung nützt, ebenso sucht der Weltgeist in fruchtbarer Gegensätzlichkeit die polarisierten Denkelemente und Streitmeinungen immer wieder auf neuer Ebene zu vereinen (Hegel), wie ebenso die strebenden und streitenden Partner stets zueinander finden müssen, deren sich die Weltgeschichte in ihren sozialen Auseinandersetzungen bedient. Wenn wir links und rechts also begreifen als nützliche Organe desselben Organs und wir uns daher nicht immerfort mit dem linken Bein auf das rechte und umgekehrt treten dürfen, sondern beide Teile (partes, Parteien) zu brüderlicher Gemeinschaft erziehen müssen, wenn wir den Atem der Schöpfung verspüren und ihn zum werktätigen Prinzip unseres Denkens und Handelns erheben, wenn wir den Kantschen Imperativ ebenso beherzigen wie die Mahnungen des Dekalogs, wenn also die Christen sozial handeln und sich die Sozialisten christlich bemühen im Sinne christlicher Soziallehre und der Verheißungen sozialistischer Denker und Künder, dann weckt der erste Mai von neuem Glauben und Hoffnung auf die Freiheit als köstliche Atemluft aufrechter Bürger, auf die Demokratie als kostbares Gefäß der Freiheit und auf Österreich als Kleinod im großen Mosaik der Völkerfamilie.

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