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Wie ich ein Schriftsteller wurde

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Alle Künste haben die Neigung, ihre Grenzen zu überschreiten. Die gemeinste und allgemeine Art ist die nach dem Naturalismus hin, als einer Nachahmung der Natur. Zwar verlangt Aristoteles, daß die Künste die Natur nachahmen, jedoch keineswegs im Sinne der Wiederholung, sondern daß z. B. die Musik den Gesang der Sphären nachahme, gehorsam dem Gesetz der Zahl, dem auch die Sterne unterworfen sind.

Unsere Zeit ist reich an Beispielen dieser Grenzüberschreitung, sei es, daß der Roman eine minutiöse Kopie des Lebens anstrebt wie bei Proust, sei es, daß die Musik — Geräusche nachahmend — solche hervorbringt an Stelle von Tönen.

In der Malerei begann Kandinsky, die Grenzen nach einer anderen Seite hin zu verwischen, als er seinen „gelben Klang“ schrieb und die Theorie aufstellte — die übrigens Goethe bereits entschieden zurückwies —, daß Malerei und Musik den gleichen Gesetzen gehorchten. Die Konsequenzen dieser Theorie, die offizielle Malerei unserer Tage, welche die „abstrakte“ ist, steht deshalb leider Böcklin sehr nahe, da sie ohne Umweg „auf die Seele“ wirken will, nämlich ohne den Umweg über die Form, die, schwer erreichbar, dennoch immer den Primat vor dem Inhalt hat. Sowohl die Taschisten von heute als die „Malerpoeten“ von gestern malen Literatur. Es genügt, einen Blick auf die Titel ihrer Bilder zu werfen.

Strengere Geister unter den bildenden Künstlern, die solcher Versuchung widerstanden, haben immer zur Feder gegriffen, um Literatur nicht zu malen, sondern — wie es sich gehört — zu schreiben., Zwei Namen nur rufe ich auf: Michelangelo und William Blake. Cocteau, dieser geistreiche Zeichner und durchaus mehr als geistreiche Dichter, hat irgendwo einmal gesagt, er wechsle die Künste nach der Weise des Schlaflosen, der immer wieder sein Kopfkissen wende, um seinem schlummerlosen Haupt Erfrischung zu bringen. Diese Definition mag auf ihn zutreffen als einen typischen Repräsentanten der Zeit, die nicht zur Ruhe kommen kann, der die Gabe der Kontemplation verlorengegangen ist, die keine Zeit hat und sich bestenfalls „auf die Suche nach der verlorenen“ macht.

Von mir kann ich nicht sagen, daß dies der Grund sei. (Ich habe immer Zeit, denn keine Zeit haben, heißt ja keine Vergangenheit und keine Zukunft haben. Es ist die Definition des Nichts.) Ich glaube, ihn eher in der Goethe-schen Formulierung zu finden, daß ich „in der Erkenntnis die Vollendung der Anschauung“ suche. Ich war niemals Impressionist!

Der Anfang meines Schreibens liegt — glaub ich — in der Betrachtung lang zurückliegender Zeichnungen; bei ihnen, als einem zur Un-beweglichkeit erstarrten Augenblick, fiel mir ein, was sich zur gleichen Zeit alles in mir bewegte: der Duft jener bestimmten Stunde, Fetzen von Gedanken, Erinnerungen, Analogien, zu denen damals Fäden hin und her liefen, kurz: das, was vorausgegangen war, und was nachher kam. Naturgemäß waren meine ersten literarischen „Werke“ Reflexionen über Landschaften.

Aber worum es ging, war natürlich der Wunsch, die Dimension der Zeit in mein Werk einzufügen, welches der Malerei streng versagt ist — trotz aller Bemühungen der weiland Futuristen. (Wie das Bemühen des großen Schriftstellers Joyce versagen mußte, wenn er umgekehrt versuchte, dem Nacheinander zu entkommen dadurch, daß er tausend Seiten über einen Augenblick schrieb. Solches ist der Wettlauf Achills mit der Schildkröte. Es lebe der ordo!) Den Rest (mich zum Schriftsteller zu machen) besorgte die Zeit. Nur Dummköpfe können ja meinen, heute dürfe, ja solle, man „naiv“ sein, jene ewigen Avantgardisten, die tatsächlich ganz naiv glauben, sie liefen voran, während sie nur dem Zeitgeist keuchend nachlaufen. Wir andern haben durch die bittere Reflexion zu gehen, um — vielleicht — am andern Ende als eine neue Art Naive herauszukommen.

Da mit dem Pinsel sich nicht reflektieren läßt, versuchte ich's mit der Feder, und da ich kein Philosoph bin, blieb mir nichts anderes übrig als — nicht durch bloße Aufzählung, sondern durch „richtige“ Zusammenstellung der angeschauten Phänomene — Situationen zu schaffen, aus denen die hinter den Phänomenen verborgenen metaphysischen Wahrheiten hervorleuchteten, die nach dem Jahre eins nichts sind als die christliche Wahrheit. Auf diese Weise bin ich als Schriftsteller aristotelisch ein „Nachahmer“ der Natur — wie ich es als Maler in meinen Bildern bin.

Die Schriftstellerei verwandelte mein Atelier in ein Spiegelkabinett, das unendlich reflektiert. Ich schaute mich um: siehe da, es waren unendlich viele, die da am gleichen Bild malten. Und der Einsame hatte plötzlich Gefährten! — So wurde die Schriftstellerei die Trösterin der Malerei.

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