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An einem Grabe

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Durch einen wahrhaft unerforschlichen Ratschluß, ist vor kurzer , Zeit mitten aus rastloser, fleißiger Tätigkeit und scheinbar unerschütterter Gesundheit Prof. Dr. Leopold Arzt aus unserer Mitte gerissen worden. Die Wiener medizinische Fakultät hat dadurch einen neuen schweren Verlust erlitten. Es ist hier nicht die Stelle, die wissenschaftliche Bedeutung dieses einflußreichen Mannes zu würdigen, sondern es muß genügen, daran zu erinnern, daß, wohin immer man in europäische oder amerikanische Länder kam, sein Name und sein Werk mit größter Achtung genannt wurden. Er war korrespondierendes Mitglied oder Ehrenmitglied fast aller gelehrter Vereinigungen seines Faches. Alle diese Ehrungen hat er auch stets als eine Anerkennung der bedeutenden Wiener medizinischen Schule betrachtet, als deren Exponenten er sich zeitlebens fühlte. Persönlich von fast asketischer Bedürfnislosigkeit, war er einer jener gewissenhaften und fleißigen Kliniker, die auch den geringsten ihrer Patienten und sein Schicksal bis in alle Einzelheiten kennen und verfolgen. Die zahlreichen ehemaligen Kranken, die ihm das letzte Geleit: gegeben haben, statten hierfür ihre Dankbarkeit ab.

Prof. Arzt war ein ausgezeichneter Lehrer ganzer Generationen von Aerzten. Im klinischen Dienst verlangte er harte und genaue Arbeit, aber er war wohl gegen niemanden härter als gegen sich selbst. Da er von konservativer, bewahrender Gesinnungsart war, haben ihn Zeit seines Lebens die großen Schatten aus österreichischer Vergangenheit tets auf seihem Weg begleitet. Er liebte es, im Gespräch sich an die Größe von Männern der Medizin zu erinnern, die er noch selbst gekannt hatte und die ihm ein Beispiel waren, welches er weitergeben wollte. Dabei war es nicht von Bedeutung für ihn, ob diese Männer ihm selbst nahegestanden hatten oder ob sie seine Gegner waren, von beiden sprach er mit Achtung.

In einer der letzen Sitzungen des Professorenkollegiums unserer Fakultät, an der er noch aktiv teilgenommen hat, legte er die beiden Beweggründe dar, aus denen seine Handlungen entsprangen: die tiefe und treue Liebe zu seiner österreichischen Heimat und seine echte, katholische Religiosität.

Es war diesem tatkräftigen und unendlich leistungsfähigen Mann nicht wie so vielen akademischen Lehrern möglich, den wilden Tumult der äußeren Erscheinungen seines Lebens an sich vorbeiziehen zu lassen und zu allem ein resigniertes „Sei's“ zu sprechen, sondern sein Temperament und sein Gewissen trieben ihn dazu, einzugreifen, seiner Meinung Geltung zu verschaffen, eine Wirkung auszuüben. So ist er hineingezogen worden in die Verschiebung und Verwirrung und Tragik unserer Zeit. — Viele haben ihm Liebe und Verehrung entgegengebracht, aber auch am Gegenteil der Liebe hat er Anteil gehabt. Das alles liegt pun, unwichtig und unwesentlich geworden, hinter ihm: Es ist früher in Staub zerfallen als er selbst, der vor einen gerechten Richter tritt.

Sein Glaube aber war für ihn kein äußeres Anliegen: Wohl war er auch hier jederzeit privat und in der Oeffentlichkeit bereit, kämpferisch einzutreten und abzuwehren, aber der echte Kern lag tief in seinem Herzen verborgen. In den letzten acht Jahren habe ich zuweilen Gelegenheit gehabt, auch privat mit Prof. Arzt zu sprechen, aber nur bei ganz vereinzelten Anlässen hat er in wenigen scheuen Aeußerungen diese Tiefen berührt. Dabei freilich lernte man einen verwundbaren, weichen, fast kindlichen Menschen kennen: einen ganz anderen, als ihn die Oeffentlichkeit zu sehen gewohnt war.

Uns aber muß es ein Trost sein, daß der Tod ihn wohl schrecklich plötzlich und überraschend treffen konnte, aber niemals unvorbereitet. Für mich selbst ist es ein schöner Gedanke, mich daran zu erinnern, daß seine letzte schriftliche Aeußerung weise, friedliche und versöhnende Worte waren, die er meinem tragisch früh verstorbenen Freund und Lehrer Richard Rößler in der Wiener klinischen Wochenschrift gewidmet hat.

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