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Atlanta-Satire

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Politisches Kabarett, so wie es in Europa allgemein bekannt ist, war bisher in Amerika fast unbekannt. Nach einigen Fiaskos und gescheiterten Versuchen fängt es aber nun auch hier an Fuß zu fassen.

Die Theater-Satire (oder auch kabarettistische Revue) „Red, White and Maddox“ ist ein Beweis dafür. Dieses Stück, in dessen Mittelpunkt ein rabiater Segregationist steht — Lester Maddox, Gouverneur des Staates Georgia — ist ein geeignetes Objekt für eine Satire. Ein kleiner Restaurateur, dem es gelungen ist Aufmerksamkeit zu erregen und der praktisch über Nacht von seinem Hühnerrestaurant in den Regierungspalast von Atlanta übersiedelte — weil er verhinderte, daß Neger sein Lokal betraten und seinen Laden lieber verkaufte als sich dem Spruch eines Bundesgerichtes zu fügen. Vielleicht wäre das allein nicht ausreichend für ein abendfüllendes politisches Kabarett — doch liefert Mr. Maiddox — unabsichtlich — den Autoren Don Tucker und Jay Broad eine Menge Material. Aussprüche und Bemerkungen von Maddox selbst, die geschickt in die Revue eingebaut sind — rufen die größte Heiterkeit im Publikum hervor. Wie seine ernsthafte Erklärung, daß Gott ihm im Traum erschienen ist und ihm zugeflüstert habe, sich als Präsident der Vereinigten Staaten aufstellen zu lassen. Oder seine Antwort — inzwischen zu einem geflügelten Wort geworden — als er um eine überfällige Gefängnisreform befragt wurde: Eine Reform würde kommen „sobald es eine bessere Klasse von Gefangenen gäbe“.

„Red, White and Maddox“ trägt den Untertitel „A Thing with Music“. Die Verfasser, die das Stück auch inszenierten, verstehen es auch, die Musik ihrem Zweck dienstbar zu machen, die Songs sind flott und schmissig, die Kostüme grotesk, im Hintergrund Aufnahmen aus der gegenwärtigen Zeit, die, obwohl sie jeder kennt, ihre Wirkung nicht verlieren können, wie Dallas und Chicago, der Mord an Martin Luther King, das Grauen von Vietnam, dazwischen ein Bild aus dem Deutschland Hitlers ...

In der Hauptrolle bietet Jay Garner eine bemerkenswerte schauspielerische Leistung. Er sieht die Rolle nicht nur als die eines dummen Hanswurst einerseits und eines gefährlichen Demagogen andererseits — er versteht auch, ihr ein menschliches Problem zu geben. Die arideren Mitwirkenden sind aust-nahmslos hervorragend.

Ganz am Schluß, nachdem Maiddox die ganze Welt vernichtet hat, bleibt er in seinem Wahnsinn allein. Da er auch den von ihm oft zitierten Gott vernichtet hat, ist er nun selbst Gott. In solchen Übertreibungen zeigt die Satire am besten ihren ernsten Kern.

Wichtig ist auch die Tatsache, daß diese junge und mutige Gruppe aus Atlanta stammt, wo sie diese Produktion mitten im Staate Georgia zur Aufführung brachte! Es war zu erwarten, daß sie dort nicht lange spielen konnten. Aber dieser Broadway-Import aus Atlanta ist gut und erfolgreich — und es ist zu hoffen, daß diese Art „Unterhaltung“ bald überall im Land eine feste Einrichtung wird. Denn ein politisches Lied tut mehr für die Aufklärung als alle Demonstrationen.

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