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Der Mensch ist mehr als ein AnHegen
Was ist um diesen Roman, daß er einen nicht kaltläßt? Womit übt er seinen sanften, wärmenden Zwang? Würde und Verlorenheit, Angst und Entschlossenheit der Zukurzgekom-menen, von Carson McCullers geschildert: ganz schlicht und einfach klingt ein menschliches Thema an. Bei den Figuren des Romans sowohl, als auch bei der Autorin reicht es nicht für die großen Gefühle, tragische Verzweiflung, herausforderndes Aufbegehren, verzehrendes Durchhalten. Wer ohne das auskommen muß, hat einige Echtheit für sich, zugleich das rechte Zutrauen zu den Menschen. Den meisten muß gar nichts Übermenschliches zugemutet werden, um ihnen alles abzuverlangen. Es trägt sich ja doch nicht so zu, daß desto mehr einem abverlangt wird, je ärmer einer ist. Nur ist einer oft langsam von Begriff, und er brauchte länger als eine Lebenszeit, um zu verstehen, daß er schon abgefunden ist, bevor er sich mit der Welt abfinden kann. Seine Zufriedenheit ist klein, aber er findet auch in der Unzufriedenheit nur schwer zu sich selbst. Diese Weißen, die wenig von den Herren an sich haben, die Schwarzen, die nicht stumpf genug sind, sie alle müssen I erfahren, daß bei ihrem Aufbäumen nicht mehr als ein Strecken nach der niedrigen Decke herausschaut. Wo das Böse nur schmutzig ist, dort liegt auch über dem Guten Wehmut.
Dabei ist, der dichterischen Einstellung nach, der Roman eher einseitig. Es stört, daß die Menschen im Buch, sich zu wenig vergessen, daß im Buch zu selten auf die Menschen vergessen wird. Der Mensch ist mehr als ein Anliegen, mehr als eine Dringlichkeit, mehr als sein Entsetzen und mehr als sein Suchen. Der Mensch ist gar nicht nur für sich selbst da oder die Natur für ihn. Gerade die Gemeinschaft zeigt oft mehr Selbstsucht, als je irgendeinem einzelnen gut täte; die Beschäftigung mit ihr und der Verweis auf sie hilft nichts. Eine Seite des Menschen bleibt immer verdeckt: daß der Mensch nicht nur selbstvergessen ist, weil das ein Ausweg ist, sondern auch, weil er es sich leisten kann. Ohne daß ihm das Los, sich und die Welt zu ertragen, erspart bleibt, ohne daß er aufhört, darunter und dafür zu leiden, findet sich im Menschen genügend Natur, die eins ist mit aller Natur und in der er fühllos-souverän das Schicksal überdauert. Der Mensch trotzt dem Schicksal und ist von ihm betroffen. Doch gibt es in ihm auch eine tiefe und weise Gleichgültigkeit dem Geschick gegenüber, er weiß sich erhaben und kann die Achseln zucken. Das Fatum hat keinen exklusiven Anspruch auf ihn und auf seine Kampfeskraft, er ist nicht nur frei für das Schicksal, sondern auch frei von ihm. Die Übermacht des ihn Bedrängenden kann ihm arg zusetzen, erdrücken kann sie ihn nicht. Er versteht sich aufs Entschlüpfen. Hat er ihr doch seine Sorglosigkeit und seine Hilflosigkeit entgegenzusetzen, von denen der Fluch der argen Nemesis und der dunklen Furien erlahmt. Wann immer Menschen in eifriger Pose sich selbst übertreffen, wann immer es ihnen um alles geht, zeigen sie dabei doch eine Unbekümmertheit, die Scheitern wie Triumph bei weitem ••'übertrifft, vorwegnimmt 'und relativiert. Wo darauf keine' Rücksicht genommen ist. wird eine Darstellung leicht naiv und sentimental, was selbst auf die McCullers, bei allen ihren Vorzügen, zutrifft.
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