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Dicht er-Anekdoten

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Die Werke von Johann Nestroy und Ferdinand Raimund bilden den Höhepunkt der volkstümlichen Dichtung Oesterreichs. Nestroy schrieb über sechzig Stücke, von denen viele noch heute zum Repertoire der Bühnen gehören.

Raimund traf auf einer Probe mit Nestroy und Karl von Holtet zusammen, der damals in Wien gastierte. Es entwickelte sich ein Gespräch über Goethe und Schiller.

Holtet war ein Goethe-Schwärmer, über Schiller hatte er ein allzu strenges Urteil; er nannte seine dramatischen Gestalten idealisiert und lebensunwahr. „Denken Sie sich“, begann er auszuführen, „denken Sie sich zum Beispiel den Melchtal im ,Tell‘. Er ist doch nur ein Hirte, und wie spricht er über das Licht!“ — „Ja“, fiel Nestroy ein, „der Melchtal muß wenigstens schon einmal Augenarzt gewesen sein!“ Holte! fuhr ermutigt fort: „Und dann der alte Attinghausen…" — „Der war Doktor der Philosophie“, setzte Nestroy fort, und so ging es weiter. Raimund hörte erstaunt zu, als aber Holtci sich entfernt hatte, stellte er Nestroy entsetzt zur Rede. „Das verstehst nicht“, verteidigte sich Nestroy. „Merk dir das: wenn einer dumm redt, muß man noch dümmer reden als er, dann öffnen sich erst die Schleusen seiner Dummheit vollends, und man kann sich den Mann ganz auskosten.“

Seit 1831 war Heine dauernd als Journalist in Paris, wo er bis 1848 eine Pension von der französischen Regierung empfing. Er saß einmal in einem Restaurant und las, als einige Engländer eintraten und eine allzu laute Unterhaltung begannen. Nach einer Weile trat Heine an ihren Tisch und sagte höflich: „Entschuldigen Sie bitte, aber ich störe Sie doch hoffentlich nicht in Ihrer Unterhaltung, wenn ich Zeitung lese?“

Eine Dame der Gesellschaft versuchte, den Dichter zu sich einzuladen: „Kommen Sie zum schwarzen Kaffee!“ — „Leider kann ich Ihre Einladung nicht annehmen“, sagte Heine, „ich trinke nämlich den schwarzen Kaffee immer nur dort, wo ich gegessen habe.“

Franz Werfel, der Bahnbrecher des österreichischen Expressionismus, wohnte einmal in Berlin. Er war überaus produktiv und schrieb anschließend an seine frühen Gedichtbände mit ehrgeizigem Eifer einen Roman, ein Theaterstück und einen Essay um den anderen, worauf er von Alfred Kerr den Vers einstecken mußte:

„Ich bin der Dichter Werfel.

Haben Sie kein Bedärfel?“

Franz Werfel wohnte zusammen mit dem Lyriker Walter Hasenclever in einer Pension. Des Morgens schlief Werfel gerne recht lange. Wenn1 seine Wirtin ihn aber zur Zeit aus dem Bett haben wollte, brauchte sie ihn nur mit den Worten zu wecken: „Herr Werfel! Aufstehen, an die Arbeit! Herr Hasenclever hat schon drei Gedichte gemacht.“ Das half immer.

(Aus „Der Autorenabend“, Diogenes-Verlag, Zürich.)

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