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Leben mit Altertümern

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Der Verfasser hat sich vorgenommen, lehrreiche Texte alter und neuer Autoren über wichtige Stätten und Zeiten der europäischen Geschichte auszuwählen. Je ein Kapitel, einen Ort und dessen wichtigsten Zeitabschnitte betreffend, hat er mit einem einleitenden Aufsatz versehen. Das war eine ausgezeichnete Idee. Auch ist es ungemein schwer, ja fast unstatthaft, mit dem Herausgeber einer Blütenlese zu rechten; seine Wahl muß frei, muß willkürlich sein. Kein Zweifel, daß hier tatsächlich interessante Texte zu erheblichen Themen beisammenstehen. Nicht daran darf sich der Kritiker stoßen, daß hier auch Stücke aus historischen Romanen stehen (also Erzählungen, die grundsätzlich „fiction“ sind) oder Urteile, die solchen Unsinn enthalten wie Egon Friedells Abschnitt über den Esco-rial; denn beiderlei Texte können geistesgeschichtlich hochbedeutsam sein — wie gerade hier der Ausschnitt aus Felix Dahn. Kritik muß sich auf konkrete Mängel richten. Da ist denn zu sagen, daß es für eine gewisse Europaauffassung nur allzu bezeichnend ist, wenn wir unter den „Stätten“ Konstanttnopel vermissen

— und das war jahrhundertelang die Stadt! Dem Rezensenten möge man zugutehalten, wenn er sich darüber ärgert, daß S. 507 Varnhagen v. Ense als Autor eines Aufsatzes von Fritz Schwarzenberg vermerkt ist — man beruhige sich aber, im übrigen Band ist nicht etwa der Karl-Marx-Text von Adam Smith oder das Trotzki-Zitat von Krasnow. Immerhin bleibt etwas zu wünschen. Dem geschichtlichen Selbstverständnis des Europäers, welches der Herausgeber im Auge hat, wäre wohl noch besser gedient gewesen, wenn jedes Kapitel auch ein zeitgenössisches Zeugnis enthielte. Sonst wird das Buch gute Dienste tun; wie billig bei einem deutschen Buch, sind deutsche „Stätten“ bevorzugt. Ob es freilich, auch vom deutschen Standpunkt, sinnvoll ist, das Buch ausklin-gen zu lassen in Kennedys Ruf: „Ich bin ein Berliner!“ — darüber könnte man diskutieren... Den Prager Leser dagegen wird interessieren, was Postl-Sealsfeld über das böhmische Landtagszeremoniell zu erzählen weiß. So gefällig ist das Buch, daß es wohl zur Nachahmung (auch in anderen Sprachen) reizen könnte.

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