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Monolog eines Flüchtlings

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Du Glücklicher, der du in deinem warmen Nest bleiben konntest, den dieses Erdbeben nicht entwurzelt hat, widme einige Minuten Aufmerksamkeit uns, die wir aus unserem Heim geschleudert wurden und hier und dort verstreut leben ohne Heimat und Dach. Versetze dich in unsere Lage — nur auf einige Minuten — und versuche es, unseren Gedanken und Gefühlen zu folgen.

Wir weinen nicht mehr, die Tränen versiegen nach den ersten zwei Wochen. Wir klagen nicht —, das ist lästig auf die Dauer! Nein! Wir haben uns eine eigenartige Lebensweise geschaffen, ganz eigenartig, und wir haben unsere Momente des

Vergessens, man könnte beinahe sagen, Momente des Glückes. Einige von uns sagen, man solle möglichst wenig nachdenken, nur den Tag erleben und weder rückwärts noch nach vorne schauen. Ich bin anderer Meinung. Im Gegenteil, ich lebe nur in der Vergangenheit und in der Zukunft, da beide unwahrscheinlich und schön sind.

Und wie sollen wir die Bilanz unserer Güter ziehen? Wir haben ja nur verloren. Es ist wahr, wir haben viel verloren, weil für einen jeden dieses alles gleich viel ist: die Hütte des Bauern, die er im Schweiße seines Angesichtes gebaut hatte, und das Schloß des ungarischen Grafen, das er von seinen Urahnen des fernen Mittelalters geerbt hat. Was ist uns also geblieben, nach dieser europäischen Sintflut? Nun, die Freude des Überlebens, das Gefühl, daß man atmet, daß man lebt. Wir haben die unschätzbare Gabe der Augen, um das Werk Gottes zu sehen, wir haben Ohren, um die Stimme unserer Lieben zu hören und die Töne der Musik, dieser ewigen Trösterin.

Wir lernten es, mit einer Leichtigkeit zu verlieren, die solche, die nichts verloren, nie kennen werden. Wir lernten, uns wenig an materielle Dinge zu klammern. Wir haben die Möglichkeit, das Recht, ein Wunder zu erwarten. — Das ist vielleicht die größte Gemeinschaft auf Erden, diese Riesennation der heutigen Bettler, die all ihr Hab und Gut auf dem Rücken tragen können. Und diese Sintflut mußte kommen, um uns zu zeigen, wie viele Dinge man entbehren kann. — Aber es blieb uns noch ein unerschöpflicher Reichtum, unsere Erinnerungen. Die Erinnerungen an das verlorene Paradies, unser vergangenes Leben. Alfred de Musset, der französische Dichter, sagt: „Eine glückliche Erinnerung ist vielleicht auf Erden wahrer als das Glück.“ Vieles ist uns versagt, doch dürfen wir träumen. In den Träumen' finden wir unsere Vergangenheit wieder und beim Erwachen können wir auf den Trümmern dieser Vergangenheit die Zukunft aufbauen. Und die Leichtigkeit, mit der wir uns bewegen, kommt daher, daß wir wenig besitzen, was ein Gewicht darstellt. Der ungarische Dichter Vörösmarty sagt: „Nur was unser Herz in sich aufnehmen kann, können wir unser nennen.“ Und unser Herz ist nicht leer! Gott wohnt darin in seiner ganzen unerschütterten Macht. Alles ist verwirrt und verändert in dieser Welt, aber Gott hat sich nicht geändert Wir müssen unseren Blick ihm zuwenden und dann können wir über die kleinen Unannehmlichkeiten auf Erden nur lächeln. Alles hängt von der Perspektive ab, von der wir das Leben betrachten.

Wir lernten es mit einer Leichtigkeit zu sagen wir: Das Leben ist schön, trotz allem!

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