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Zum Schmunzeln? Zum Weinen!

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„Politische Studien” ist der Titel einer vom Olzog-Verlag in München herausgegebenen Publikation. Anläßlich des 150. Heftes stellten sich als Gratulanten der deutsche Bundeskanzler Adenauer und der Vorsitzende der SPD, Ollenhauer, ein. Auch der österreichische Regierungschef Dr. Gor- bach wurde um ein Grußwort gebeten und war — wie es in solchen Fällen eben üblich ist — gerne dazu bereit.

Er konnte ja auch nicht wissen, daß in das Jubiläumsheft ein Aufsatz „Hat Hitler Österreich überfallen?” aufgenommen wurde, der alles bisher zu diesem Thema publizierte, auch aus dem Reich des Dilettantismus, weit überflügelt. Alle von der ernsten Geschichtsforschung schon längst zurechtgerückten Gemeinplätze werden hier betreten, von krassen Irrtümern ganz xu schweigen.

Die „Illegalen” werden in die zwanziger Jahre zurückprojiziert, wo es doch bekanntlich bis 1933 eine legale NSDAP in Österreich gab. Das Dollfuß-Lied läßt der Verfasser bereits 1933 singen, obwohl es erst nach Dollfuß’ Tod komponiert wurde und so fort. Aber das sind nur die kleinen Fische.

Schwerer schon wirkt die völlige Unkenntnis der historischen Quellen. Eine rasche Lektüre einer jüngst erschienenen Darstellung läßt ein wirklich historisches Wissen eben nicht ersetzen. Nicht unbedenklich ist vor allem aber ein bestimmter politischer Unterton dieser Übung in der österreichischen Geschichte. Da wird von dem Kampf der österreichischen Nationalsozialisten „gegen die von der Demokratie nach links abweichenden Sozialdemokraten, anderseits gegen die nach rechts herausgetretenen Austrofaschisten” gesprochen, als ob die ersteren die reinen Lämmer und berufensten Hüter der Demokratie gewesen wären. Dollfuß ist der „nach der Alleinherrschaft dürstende Kanzler”. Die Worte „klerikal-faschistisch” werden mit Vorliebe verwendet. Den deutschen Leser wird es überraschen, 25 Jahre nach 1938 von einem Österreicher zu erfahren, daß der „Anschluß wie eine Erlösung” hierzulande aufgenommen wurde. Mehr noch: Hitler wollte ihn eigentlich gar nicht in dieser Form, aber die Österreicher „wären enttäuscht gewesen, wenn ein vollständiger Anschluß unterblieben wäre”.

Die Auslöschung des Namens dieses Landes wird folgendermaßen motiviert: „Der Name Österreich war restlos abgewertet worden, so daß man alsbald nur noch von der Ostmark sprach.”

Armer Kanzler Gorbach! Von seinem Schicksal und dem Schicksal, das viele andere Österreicher in jenen Wochen und Monaten zu tragen hatten, wird er in dieser Studie kein Wort finden.

Welcher österreichische Historiker zeichnet für diese Geschichtsdeutung verantwortlich? Keiner. Verfasser ist vielmehr Kurt Wedel, ein junger Verleger und Druckereibesitzer, der vor allem mit der Publikation von Schmunzelbüchern bisher reüssiert hat.

Bei solcher Wortmeldung aber weint Frau Historia.

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