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Wo Jahrtausende reden

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Im ganzen Altertum war der Krug ein

Ding von unablässig gleichbleibender Bedeutung. Als Aufbewahrer von öl und Wein, als Erfasser für den beweglichen Ursegen, das silberige Wasser, war er das lebensnotwendigste Gefäß, der Behälter schlechthin. Im Dienste der Götter jedoch, bei Opfern und frommen Bräuchen, auch denen für die Abgeschiedenen, in Tempeln und Totenstätten, wurde er zum geheiligten Gerät. Dieser regen und erhöhten Aufgaben wegen, die er in frühen Zeiten den Menscher zu erfüllen hatte, bemächtigte sich auch die Kunst seiner, ward er bilderreich geschmückt und zum Verkünder von Helden und Himmlischen gemacht, zum rühmenden Vermittler, wie es die schier unerschöpflichen Sammlungen attischer Vasen und Krüge beweisen.

Zwischen den Griechenplätzen Agrigent und Selinunt an der Südküste Siziliens, hoch über dem afrikanischen Meer malerisch und lichtüberströmt sich aufbauend, war die gartenreiche Stadt Sciacca schon in grauer Vorzeit durch ihre dem Herakles geweihten, heilkräftigen Quellen und heißen Dämpfe wie durch ihre Töpferkunst eine gewußte und berühmte Stätte; gilt doch ihre „creta“, ihr Ton, den eine besondere Reinheit und Güte auszeichnen, heute noch als der beste der Insel. Daraus erklärt es sich, daß das Handwerk der Gefäß- und Krugherstellung hier von jeher besonders blühte.

Wer nun aber im jetzigen Sciacca — einst

dem Landgebiet Selinunts zugehörig, das die Punier sechsmal verloren und wiedergewannen — unvermutet in das Reich der Töpfer gerät, der könnte tatsächlich vermeinen, mit einem Schlag um Jahrtausende zurück, in ein altes Märchen versetzt zu sein, so unverwandelt und unversehrt mutet diese Welt dort selbst in der Gegenwart noch an. Die leidenschaftlichen Gesichter der an dem kaum veränderten Gerät wie an der urersten Töpferscheibe arbeitenden Männer sind so klug und stolz, daß es sich plötzlich verlebendigt und auf bezwingende Art begreift, daß ein solcher Mensch, wie die da, eine der fähigsten, einflußreichsten und zugleich schrecklichsten Erscheinungen der antiken Welt, in denen der Kampf der sizilisch-griechischen Geisteshöhe gegen die Karthagos sich verkörperte, hätte zeugen können: Agathokles, den unerschrockenen Abenteurer, der, kraft seiner hinreißenden Redegabe und unbedingten Feldherrneigenschaft bis zum Gewalthcrrn des damals ungeheuer bedeutungsvollen Syrakus emporstieg. Die vielen Tonkrüge indeß, die hier entstehen und, durchlässig, den Trunk in dem heißen Erdstrich köstlich frisch erhalten, sind bis auf den heutigen Tag noch überall auf der Insel im Gebrauch, da die Wasserfrage bisher noch nicht endgültig zu lösen war.

Dies wundersame Reich ist nahe jenem Tal, wo die heilende Schwefelquelle des Ortes ins Meer tritt. Da liegen am Strand, rückwärts an eine Wand des hügeligen Geländes, an den Tonbruch gelehnt, eine Reihe

von Hütten mit Lagerräumen. Dort hausen und werken die „Maestri Figuli di Sciacca“, die nach verbrieftem Recht den Anspruch auf die kostenlose Nutznießung der Ton-

grübe haben. Deswegen sind unter ihnen Händwerk, Ernährungs- und Lebeweise durchaus erblich. Was der Vater tat, das tut der Sohn. Und zwar überträgt sich auf ihn nicht allein was der Vater machte, sondern sogar, w i e er es machte. Selbst die Form der Wasserkrüge ist hier erblich. Sie blieb, mit kleinen geringfügigen Abweichungen, ganz die antike. Der griechische Krug, der dem Geschmack der Meister bis zur Jetztzeit das unübertroffene Muster darstellte, ist es, der herrscht. Seine Gestalt, sein Ausdruck, seit Jahrtausenden erprobt und fortgepflanzt, liegt den Töpfern hier gleichsam im Blut, in den erfahrenen, geschickten Fingern, die so schnell und sicher aus der geschmeidigen und dehnbaren Tonmasse das klassische Gebilde auf der völlig uranfänglich vom Fuß bedienten Drehscheibe emporsteigen, sich runden, bauchen, auskehlen und wieder verjüngen lassen. Schon der Knabe sieht dem Vater die künftige Fertigkeit ab. Ein guter Meister versucht sich früh. Er beginnt mit fünf bis sechs Jahren, denn von seiner Gewandtheit und Behendigkeit hängt später sein Wohlergehen ab, weil sein Einkommen von der Anzahl der verfertigten Krüge abhängt. Die übliche Menge, die ein Arbeiter von Rang in etwa neun Stunden am Tag herstellt, beläuft sich auf hundertzwanzig bis hundertfünfzig Stück.

Da nun all diese Werkstätten dicht an der lybischen Flut liegen, am weithin wogenden, afrikanischen Meer, dessen Bläue und blitzender Glanz, dessen herber Atem und gleichmäßig anschlagendes Rauschen wie in den Jugendtagen der Menschheit in die dämmerigen, aber offenen Arbeitsschuppen hineindringen, so ist es auch derselbe ewige Sang der blendend anlaufenden, weißschäumendan Wellen, den die kunstfertig fleißigen Former ganz wie ihre Väter und Ururväter heute noch vernehmen, der Gesang Poseidons, der

sicH mit dem ihrer drehenden Scheibe vereint. Am Strand, den Hütten nah, türmen sich Haufen von Meeralgen. Von der Himmelsglut gedörrt, geben sie für die Brennöfen der Töpfer einen ausgezeichneten Heizstoff ab, dessen mittelbare Wärme dem Ton eine vollere Färbung verleiht als die heftigere Kohle. Doch müssen die von der Scheibe abgehobenen Gefäße erst vierzehn Tage in Luft und Sonne trocknen, bevor sie gebrannt werden. Sie stehen deshalb in langen, zuchtvollen Reihen vor den Werkstätten am Ufer aufgebaut, wodurch ihre reine Form —- von den wundervollen Wechselfarben des blinkenden Meeres lichtüberflossen sich abhebend — erst vollends eindringlich empfangen wird.

Diese Krüge aber, die man so oft, zu beiden Seiten der geduldigen Eselchen in Gestellen lastend, über die Straßen Siziliens befördert werden sieht, und die die Frauen und Mädchen der Insel so schön und sicher schreitend, in allen Ortschaften frei auf dem Haupte tragen, beginnen, wenn man sie so dicht versammelt und lichtüberglänzt am Meeresufer sich bauchen sieht, wundersam beredt zu werden. Von den götterbefreundeten Griechen, die ihnen die einfältig vollkommene Form gaben, erzählen sie dann den wohlgestaltigen Frauen Selinunts, deren edler Gang noch in den heutigen Sizilianerin-nen fortlebt. Von den lichtbringenden Hellenen und deren schwarz- und kraushaarigen Todfeinden, dort, jenseits des großen Wassers, den funkelnden Puniern, reden sie, und von dem, der die Stadt Karthago erzittern machte, dessen ausübende Gewalt bis nach Epirus und. Ägypten reichte, der wie Gelon und Dionysius zu den hervorstechendsten Gestalten Trinakrias und seiner Geschichte gehört und dessen Vater doch einst hier ebenso wie die Meister der Gegenwart, an der Drehscheibe stand und gedankenvoll

den Gebilden unter seinen empfindsamen Fingern zusah, ja von ihm, diesem Söhn, reden sie vor allem, von Agathokles, dem ersten urkundlichen König von Syrakus.

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