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Zeit- und unzeitgeme Wiener Bhnen

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Die bedeutendste unter den letzten Premieren der Wiener Theater ist unzweifelhaft Epps Neuinszenierung von „H an n e-les Himmelfahrt“ in der „Insel“. Was die Aufführung und das Thema dieser Traumdichtung Gerhart Hauptmanns betrifft: Wahl und Formung beider dürfen froh bejaht werden. „Hanneies Himmelfahrt“ gehört zu jenen frühen Werken Hauptmanns, in denen noch nicht das schwülstige Staatstheater-Barock seiner späteren Werke — von vielen immer noch mit der Klassik Weimars gleichgestellt — die lichte und sdiwerblütige, einfach-klare Melodie der Werke des Aufgangs überschattet. In „Hanneies Himmelfahrt“ ist noch alles klar: das Sterben der armen kleinen Han-nele Mattern, die von ihrem Stiefvater in den Tod getrieben wurde, ist ein durchsichtiger Vorgang — der Tod und die Engel, der Herr Jesus und die tote Mutter, diese Gestalten der anderen Welt können leidit und licht in diese Welt eintreten, weil sie ein Siditbar-Gegcnwärtiges verkörpern, zur Schau stellen: die Wandlung der kalten Herzen, der grausam keifenden, bös hadernden Seelen der Keuschler, der Dorfbewohner überhaupt im engen Gehege dieses kleinen sdilesischen Dorfes — durdi die Präsenz, durch das Da-Sein dieses reinen Menschenkindes, das in seinem Tod den toten Mensdien Leben bringt — Liebe. Es muß dem Bühnenbildner gedankt werden, daß er das Bild der himmlischen Stadt in den Farben und Formen eines toskanisdien Quattrocento malt — im Goldglanz und herben Schmelz reiner, keuscher Frühe.

Im besten Sinne des Wortes ein Frühlingsstück ist, obwohl es in der Zeitlosig-keit ewigen Orients spielt, „Der lustige Sünder“ von Leonid S o 1 o w j e w und Viktor Witkowitsch, eine Aufführung der „Burg“ im Akademietheate r. Wir möditen diese heitere Mär von den Abenteuern des Hodscha Nasr-eddin, des Eulenspiegels der islamitischen Welt, nicht nur jenen empfehlen, welche unbeschwerten Frohsinn auf der Bühne suchen, sondern audi jenen, die in der köstlichen Sdiale farbfroher Früchte auch den schmalen, dunklen Kern des Ewigen zu finden wissen, das allem Menschlichen eingeboren ist! Till Eulenspiegel - Hodscha Nasr-eddin verhilft durch lustige Gaunereien den Armen zur Bezahlung ihrer Sdiulden, befreit ein Mädchen aus den Klauen eines Wucherers und eines Sultans, narrt die Pharisäer uhd Sdiriftgelehrten am Hofe des Mäditigen — und kommt bei alldem fast selbst zu Tode. Was singt der Arme eingangs — als er arm, nur mit seinem Esel, seinem grundgesdiei-ten Kopf und seinem warmen Herzen ausgerüstet, nach Buchara kommt —, was singt er am Ende, als er, im Sack verpackt, dem Tod entgegensieht? ... „... Ich bin ein Mensch, bin ein Mensch ...“ Dieser Schwank behandelt also in der Form einer östlidien Komödie dasselbe Thema, das Ignazio Silone (in: „Und er .verbarg sich“) und die Wirklidikeit uns in diesen Jahren als westliche Tragödie vorgespielt haben: die unerbittliche Verfolgung des Mensdien — des Mensdien, der guten Herzens und reinen Geistes ist, des Kämpfers für Menschlichkeit, Gerechtigk*'* durch die Mädite der Zeit: der Emir von Buchara ist Träger ihrer Eitelkeit, Gier und Verblendung, seine Häscher „besitzen“ die biind-tölpische ' -•rfolgungssucht aller Polizeitrabanten;. Hussli Husslia, „ein Weiser und Sterndeuter aus Bagdad“, ist ein Professor, der in seiner gelehrten Ignoranz auch aus Haft und Notzeit nichts gelernt hat, Großwesir und Weise am Hofe des Emirs ergänzen aufs glücklichste den Kreis der „hohen Gesell-sdiaft“, der sich in sich selbst schließt —' in Machtsucht, Narrheit und Nichtigkeit.

Glücklicher Hodscha Nasr-eddin! Du entfliehst den Fallstricken der Mächtigen, den Listen der Tüditigen, dem Neid der Klugen ... Du hast die Wüste — uns aber hat die große Stadt. Auf denselben Brettern, welche du eben verlassen hast, treibt schon am nächsten Tage der üble Geist einer, wie wir einst hofften, verflossenen Zeit ihr Unwesen. Ein. Abend bringt zwei degoutante Stücke: ..Der Kammersänger“ von Frank W e d e k i n d und „Das V e i 1-c h e n“ von Franz M o 1 n a r. Wedekind betrachtet leidend-verbittert, Molnar teilnahmsvoll sich freuend den Sumpf spätbourgeoisen Kulturbetriebs.. Der Herr Kammersänger, Wedekinds Spezialist für Wagner G. m b. H. (sein Impresario haftet nicht für die Toten, welche sidi aus seinen Exkursionen ins Privatleben ergeben), ist eine blasiert-hilflose Gesangmaschine, die von Verehrern und Verehrerinnen für einen Menschen gehalten wird. Infolge dieser — doch irgendwie verzeihlichen — Verwechslung lieben ihn viele Frauen, bestürmen ihn alternde Komponisten mit ihren unaufge-führten Werken ... zu spät. Der Zug fährt in wenigen Minuten; noch fünf Minuten Mensdilidikeit für den alten Professor, zehn Minuten für die Geliebte — Ende. Fazit: eine tote „Dame der Gesellsdiaft“, einige verstreute Briefe und derangierte Blumensträuße —- ein übler Nachgesdimack auf der Zunge Dieser verstärkt sich bei Molnars „Veildien“. Inhalt? Eine Unterhaltung im Büro eines „Theaterdirektors“. Abgestandener, gebrochener Trank einer verschimmelten, halben Welt. Die schauspielerische Leistung ist bedeutend — leider. Sie würde fast dazu verlocken, eine Arbeit über die Humanitäten der Halbwelt zu sdirciben. Da wir heute aber noch nicht so weit sind, einen Humanismus der heilen, ganzen Welt zu besitzen, wollen wir auf letztere verzichten. Alma Seidler spielte einst zwischen den zwei Kriegen die junge Königin Viktoria von England: allerliebst. Jetzt spielt sie bei Molnar eine kleine, durchtriebene Komöd:antin, vollkommene Verkommenheit. Was wird die Arme nach derr nächsten Kriege spielen? i-

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