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Zeugnis einer bewegten Zeit

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Während des zweiten Weltkrieges war das Zürcher Schauspielhaus in der freien Welt nicht nur die Zufluchtsstätte für viele gefährdete Schauspieler und eine letzte Insel des freien Wortes, sondern, auch gerade durch diese Aufgaben bewußter und forciert: ein vorbildliches, nach hohen literarischen und ethischen Gesichtspunkten geführtes Forum. Oskar Wälterlin, der verdiente Direktor, Leopold Lindtberg und Leonard S t e c k e 1 waren die großartigen Regisseure dieses Ensembles; in den Spielplänen dieser Jahre finden sich geniale Klassikerlösungen neben einmaligen Aufführungen von Werken der Zeitgenossen: da waren der größte Erfolg „Der Mond ging unter” von Steinbeck, die überall bewunderte „Mutter Courage und ihre Kinder” von Brecht, die beiden Wilder-Stücke, zu Beginn und am Ende dieser Jahre gleichsam symbolisch eingesetzt: „Eine kleine Stadt” und „Wir sind noch einmal davongekommen”, da waten Claudels „Seidener Schuh”, Ardreys „Leuchtfeuer”, Giraudoux’ „Sodom und Gomorrha” und „Undine”, Priestleys „Die Conways und die Zeit”, Kaisers „Der Soldat Tanaka”, Sartres „Fliegen” oder Silones „Und er verbarg sich”; der Anteil der Schweizer Dramatiker war natürlich entsprechend groß, eine selbstverständliche Erfüllung, aber auch die Oesterreicher liegen mit an der Spitze, so vor allem Hofmannsthal und Schnitzler, die während dieser Zeit von österreichischen Bühnen verbannt waren; dann immer und immer wieder Nestroy. Die Aufführungs ziffern der Nestroy-Stücke lagen vor Shaw, Ibsen und Hauptmann!

Die Leistungen dieser Züricher Jahre waren beispielgebend in der Theatergeschichte; nicht abzusehen ist es heute noch, wie befruchtend sie für den neuen Beginn in München, aber vor allem auch am Burgtheater und im Theater in der Josefstadt geworden sind. Nicht nur die Spielpläne dieser Bühnen konnten in den Jahren seit 1945 von den Züricher Pionierinszenierungen profitieren, auch die Schauspieler und Regisseure sollten dem Wiener und dem Münchner Theaterleben neue, starke Impulse geben — Horwitz, Ginsberg und die große Giehse wirkten in München, Wälterlin und vor allem Lindtberg am Burgtheater!

Schoops Aufzeichnungen, zum Teil aus nächster Nähe miterlebt und fußend auf fleißig gesammeltem Material, sind wichtig, als bester Beweis für diese Verdienste der Zürcher. Ein wenig trocken ist natürlich das Buch geraten, da es sich ja mehr um Aufzählungen handelt, denen aber exakte Statistiken beigegeben sind, gute Photos und gut gelungene Charakteristiken der Regiepersönlichkeiten. Ein paar kleine Fehler nimmt man gerne in Kauf (hat es zum Beispiel in Zürich wirklich geheißen: „Ein Bruderzwist im Hause Habsburg”? — wie es übrigens auch im Prospekt der diesjährigen Festwochenankündigung des Burgtheaters heißt!).

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