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Zwei Kaiserinnen

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Henry Benrath: Dichter, Historiker und Stilist von hohen Graden, dem Krei6 um Stefan George nahestehend, hat mit diesen beiden Werken historisch-politische Romane von Rang gegeben. Die kristallklare Darstellung des Lebensbildes der Kaiserin Konstanze zeigt in besonderem Maße die diesem Schriftsteller oft eigene Vereinigung von romanischer Klarheit mit deutscher Tiefe. Kaiserin Kon6tanze: Erbin Siziliens, Schwiegertochter Friedrich Barbarossas, Gemahlin des düster-dämonischen Heinrich VI., Mutter Friedrichs IL: diese Vielfalt bedeutungsvollster Beziehungen, wie sie kaum ein zweites Frauenleben aufweist, wird von Benrath in allen Verschränkungen und gegenseitigen Bedingtheiten erfaßt und zu einem Souverän gestalteten Bild geordnet. Den unzähligen, außenhin mit historisierenden Arabesken verschnörkelten „Lebensbildern“ der . historischbiographischen Zeitproduktion Mahnung und Gegenstück.

Was für Benraths „Kaiserin Konstanze* gilt, läßt sich von seiner „Kaiserin Theophano“ leider weithin nicht sagen. Ein Briefwechsel des kaiserlichen Oheims Johannes Tsimiskes mit der Verlobten Kaiser Ottos IL, Prinzessin Theophano Skieros, dem weitausholende Anmerkungen zur Politik der Byzantiner und der Ottonen angeschlossen sind, leitet das Werk ein. Ein umfangreicher Anhang bildet den Beschluß, Dazwischen eingebettet das Leben der Kaiserin „in der Euphorie“ des

nahenden Todes von ihr selbst geschaut: in der Anlage kein ganz glücklicher Griff. Auch der Versuch, germanisches, byzantinisches und mediterranes Denken zu verschmelzen, wirkt nicht selten gewaltsam, besonders wenn Begriffe der Zeit um 1900 auf jene von 900 angewendet werden, wie „Deutschland“, „Frankreich“, „Rußland“ und „Rußlandfeldzug“. Ausdrücke, wie „die bairische Alfaire“, „Verbindungsoffizier“ oder (Seite 531) „Generalstabschef des Oberbefehlshabers im Westen“, wirken aufgepfropft und befremdend. Zwischen ihnen und einer künstlichen Archaisierung der Sprache gibt es noch ein Drittes, Allgemeingültiges, Zeitloses. Und das. ist auch nicht jene Theophano, von der Benrath in seiner Vorrede (Seite 2) selbst nach Thietmar von Merseburg zu sagen weiß: „Sie erfüllte mit geradezu männlicher Kraft ihre Pflichten gegen Sohn und Reich“, sondern eine oft von recht kleiner politischer und privater Eifer-und Zanksucht geplagte Frau, von mäßigem Takt und um so größerer dialektischer Schärfe. Was hätte der Benrath der „Kaiserin Konstanze“ aus Benraths „Kaiserin Theophano“ machen können! Der herbe antiklerikale Affekt des Autors ist keine angenehme Begleitmusik.

Sternstunden der Menschheit. Von Stephan Zweig. S.-Fischer-Verlag. 259 Seiten.

Wieder wurden Stephan Zweigs „Sternstunden“ neu aufgelegt. Man kann dankbar dafür sein. Die „Zwölf historischen Miniaturen“ gehören zu den schönsten und wohl auch bleibendsten Zeugnissen aus des Dichters reichem Schaffen, obwohl der große Erzähler in diesem Werk nur der Nacherzähler, der Vorleser ist. Er hat ein großes Buch, Welt- und Menschheitsgeschichte genannt, aufgeschlagen. Gedankenvoll blättert er darin zurück, überschlägt Kapitel um Kapitel, überliest viele hundert und tausend Seiten, die von hohen Triumphen und jämmerlichen Niederlagen der Menschheit, von Minuten des Glücks und Jahren des Elends und der Not erzählen. Doch hier und dort verweilt der Dichter. Es sind die Nahtstellen der Historie, die sein Auge fesseln, die ihn zur Feder greifen lassen, um mit der für seine Persönlichkeit charakteristischen Zurückhaltung, aber auch Intuition nachzuempfinden und nachzudichten.

Zwölf dieser „Sternstunden“, in denen die Würfel für Jahrhunderte fielen, werden be-' schworen. Der Dichter steigt mit dem spanischen Abenteurer Nunez de Baiboa — wer kennt heute noch diesen Namen — am 25. September 1513 auf die höchste Anhöhe des Isthmus von Panama, um mit den Augen des ersten Europäers beide Weltmeere zu sehen, er dringt mit dem zunächst zögernden versprengten Janitscharentrupp durch die offene Kerkaporta 1453 in das belagerte Byzanz. Ein Torwächter hatte vergessen, das kleine Schlupfloch zu versperren. Seine Vergeßlichkeit Öffnete einmalig dem Islam den Weg nach Europa. Der Dichter blickt auch Rouget de Lisle über die Schulter, als er nach einer weinfrohen Nacht in Straßburg einen flotten Soldatenmarsch komponiert, der seinem Meister zunächst nur einen Achtungserfolg im Kasino eintrug. Wir kennen ihn, jenen Sturmgesang, der die Französische Revolution überlebte: die „Marseilaise“. Die Menschheitsgeschichte kennt auch andere Entscheidungen. Eine von ihnen fiel, als die Kosaken an einem kalten Dezembermorgen 1849 in Petersburg dem zum Tode verurteilten und in letzter Minute begnadigten jungen Dostojewskij wieder die Binde von den Augen nahmen. In diesem Augenblicke wurde er erst der Menschheit geboren.

Ein Romancier und Erzähler erweckt die tote uns in Kompendien und Nachschlagswerken eingesargte Geschichte zu warmem, spre-

diendem Leben. Ein Meisterwerk der Literatur, zugleich eine Mahnung an unsere oft recht 6chwunglosen Historiographien.

Dr. Kurt Sk a 1 n 1 k

Der Pilger Kamanita. Ein Legendenroman. Von Karl G j e 11 e r u p. Verlag Rütten und Loening, Frankfurt am Main 1950. 133. bis 140. Tausend. 319 Seiten.

Der dänische Dichter Karl Gjellerup (1857 bis 1919), einst Träger des Nobelpreises für Literatur, ist heute ziemlich vergessen. Einige seiner Dichtungen sind von philosophischer Problemaiik beherrscht. Am bekanntesten wurde der Roman .Der Pilger Kamanita“, der

aus dem Stoffkreis indischer Mythen und buddhistischer Legenden schöpft. Die Dichtung erzählt von dem indischen Kaufmann Kamanita, der dem weltlichen Leben entsagt, Pilger wird, mit Buddha zusammenkommt und ebenso wie die von ihm geliebte Frau die Kette der Wiedergeburten durch das Eingehen in das Nirwana beendet. Der Stil des Werkes ist etwas veraltet, doch es enthält wirkungsvolle Kapitel von dichterischer Substanz und ist jedenfalls ein bemerkenswertes Zeugnis für den starken Einfluß des indischen Geistes auf die europäische Literatur.

Dr. Theo Trümmer

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