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Zwischen Sucht und Sehnsucht

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Nein, es ist gut, daß dieses Geschehen in Bethlehem sich vor rund 2000 Jahren und in aller Stille abspielte. Undenkbar, wenn sich dies heute ereignet hätte. Trotz aller : Verborgenheit hätte das Zweite Deutsche Fernsehen sicher irgendwie Wind davon bekommen und ein Sonderteam hinunter-geschickt. Die Zeitschrift „Life“ hätte sich nicht lumpen lassen und hätte ebenfalls ein Sonderteam von 200 Reportern und Photographen ndnunterschicken müssen, die mindestens 8000 Bilder „geschossen“ hätten, von welchen dann zwölf veröffentlicht worden wären. Auch der „Spiegel“ hätte natürlich ein Team entsandt, während Augstein bereits auf Grund der zahlreichen Archiv-mäterialien einen negativen Artikel vorbereitet hätte, um ihn nur noch zu ergänzen,, sobald das Team zurückgekommen wäre. Nein, es war gut, daß sich dieses Ereignis von Bethlehem vor 2000 Jahren abspielte. Wäre es heute gewesen, dann wäre eine Fhicht nach uigenäetoem Ägypten noch viel früher fällig gewesen. Paulus sagt, daß dieses Ereignis eintrat, als die Fülle der Zeit da war. Und tatsachlich befanden sich die römische Kultur, die griechische KuMur und das Judentum auf einem seltsamen Kulminationspunkt, der eine Art Schnittpunkt darstellt, von dem aus entweder alle drei Ströme sich zusammenschließen konnten, um gemeinsam weitere Höhen zu erklimmen, oder jeder der drei Ströme in einen Weg überging, der problematisch sein mußte. Die Macht des römischen Staates, die sich nicht einer höchsten Allmacht beugte, verfiel so dem Cäsarenwahn. Die griechische Philosophie, die nicht erkannte, daß sie eine Art heidnischer Vorläufer des Christentums war, erstarrte in modischem Geschwätz. Und das Judentum, das sich nicht im Kommen des Messias erfüllt sah, ging über in den Tal-mudismius.

Obwohl das Ereignis von Bethlehem vor 2000 Jahren in aller Stille vor sich ging und kaum Publizität erlangte, hat sich seit diesen 2000 Jahren die Welt doch verändert. Wer jedoch die heutige Welt ansieht, vermeint, daß sich kaum etwas geändert hat. Denn geblieben ist für Millionen von Menschen nur eine vage Erinnerung an das Geschehen von Bethlehem, das viele für ein Märchen . oder eine Legende halten und das für, sae nur Anlaß ist, um sich in einen gigantischen Rausch des Kaufens und Schenkens zu stürzen. „Feiern wir Weihnachten gleich im Kaufhaus“, schreibt die Zeitschrift „Twen“. Jeder gibt mehr Geld aus, als er hat, jeder ärgert sich, daß er mehr Geld ausgilbt, als er hat, jeder ist grantig, und so wird dieses große Fest ein Grantic Festival. Und dennoch geht eine merkwürdige Stimmung durch die Welt. Eine Stimmung nicht unvergleichbar jener, die vor 2000 Jahren die damalige Kulturwelt durchzitterte. Auch damals wurde die Welt immer perfekter. Die Straßen wurden besser, das Justizwesen großartiger, die Handelsbeziehungen unübertrefflich. Hervorragende Bestimmungen über Mietzinse, über Preisstopp, über Denkmalpflege, über Kanalisation, über Rechtsschutz usw. versuchten das Leben der damaligen Welt abzusichern und zu verbessern. Und dennoch durchzog die Menschen eine merkwürdige Sehnsucht. Und ähnliche Sehnsüchte durchziehen wiederum die heutige Welt. Wieder sind es Drogen aller Art, die die Menschen schlucken, um durch sie sich zu verändern und ihr totes Leben lebendig zu machen. Denn trotz aller Perfektdon wird für die meisten Menschen das Leben immer grauer. Ihre Seelen werden immer erloschener. Aus dem Leben der Menschen verschwindet die Freude, und ihr Leben wird grau wie die Farbe ihrer Kleider. Die' schönsten farbigsten Uniformen dar Welt verschwinden, und Studenten mit langen Barten haben kein Interesse mehr an bunter Wichs. Und dennoch durchzieht die Sehnsucht nach Freude, nach Glück, nach einer Veränderung dieser grauen Welt, die ganze Menschheit. Und da sie nichts mehr weiß von dem Ereignis von Bethlehem und moderne Theologen ihr Vergnügen darin finden, dieses Ereignis immer mehr zu vernebeln und die Menschen in eine totale Unsicherheit zu führen, so bleibt für viele nichts mehr übrig als au den Drogen zu greifen. Andere stürzen sich in die merkwürdigsten Kulte, die sehr im verborgenen blühen, wie Satansmessen, okkultistische Zirkel u. a., die nichts anderes sind als eine Art pervertierte Religion. Wer solche Berichte liest, wird oft mit Schaudern reagieren. Und dennoch: Hinter all diesen Dingen steht ein sehr positives Zeichen. Denn dieses Fieber ist wie jedes Fieber ein Hinweis, daß irgend etwas nicht richtig im Organismus der Menschheit ist und sie auf irgendeine Heilung wartet. Und tatsächlich sind alle Süchte, die diese Welt heute durchziehen und immer durchzogen haben, nur ein Ausdruck der Sehnsüchte, die jedem Menschen angeboren sind und ihn immer durchziehen werden. Im Grunde genommen seufzen alle diese Menschen voller Sehnsucht, das Ereignis von Bethlehem endlich zu erkennen. Und die schreckliche Tragik dieser heutigen Stunde ist es, daß die wenigen Menschen, die an dieses Ereignis von Bethlehem glauben, scheinbar ohnmächtig sind, dieser Welt, die voller Sehnsüchte ist, den Weg zur Erfüllung dieser Hoffnungen zu zeigen. Und dennoch gibt es viel Hoffnung. Denn trotz aller Stille, in der sich das Ereignis vor 2000 Jahren in Bethlehem abspielte, wuchs diese Botschaft in diesen 2000 Jahren leise und unmerklich in die Welt hinein. Denn nicht von den Menschen allein hängt es ab, ob die Welt von dem Ereignis von Bethlehem erfährt und erfahren wird.

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