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Zwischen Tau und Frost

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Aggressoren“ als Anklage gegen Ost und West. Gegen die Amerikaner wegen ihres schmutzigen Krieges in Vietnam, gegen die Kommunisten wegen ihres Beistandes zu einer Politik, deren Ziel es ist, ein Volk auszurotten und einen Staat zu liquidieren.

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Aggressoren“ als Anklage gegen Ost und West. Gegen die Amerikaner wegen ihres schmutzigen Krieges in Vietnam, gegen die Kommunisten wegen ihres Beistandes zu einer Politik, deren Ziel es ist, ein Volk auszurotten und einen Staat zu liquidieren.

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Uber eines ließ dieser kräftige, fast vierschrötig wirkende Mann, dem so leicht das Blut zu Kopf steigt, dessen Sprache und Geste Leidenschaft verraten, dessen Mund bitter vor Enttäuschung und Skepsis ist — in einem ließ Mnacko nie mit sich handeln: über die Ideologie des Kommunismus und dessen Vorrecht in seinem Land. Er betrachtete es stets als seine Aufgabe, eine „diskreditierte Ideologie“ zu rechtfertigen, in ihrem Sinne weiterzuhandeln, Fehler wiedergutzumachen. Er hielt es für vereinbar, gläubiger Kommunist und freier Schriftsteller, radikaler Verfechter humanistischer und demokratischer Ideen im Einparteienstaat zu sein. „Eine Diktatur, Mißbrauch der Macht, ist unter allen Systemen möglich.“ Eigentlich sind alle seine Bücher „Abrechnungen“, von einem Tagesschriftsteller, nicht von einem Romancier, nicht von einem Dichter geschrieben. („Was ich schreibe, sind politische Pamphlets, keine .schöne Literatur'.“)

Dann kam die maßlose, die alles überwältigende Enttäuschung. In den ersten der „sieben Nächte“, nach dem Überfall durch die „grobe, zynische, durch stählerne Panzer zur Potenz erhobene Brachialgewalt“ schreibt er wie im Fieber und „aus Wut“: „Recht geschieht uns... und noch etwas: Recht geschieht mir.“ Und nachdem er die einzige positive Seite der „barbarischen Okkupation“ darin sieht, daß sein Volk „ein für allemal... von der Illusion der Freundschaft und Verbundenheit mit der Sowjetunion als dem Garanten der tschechoslowakischen Souveränität und Sicherheit“ geheilt ist, forscht er in der „Stunde der Wahrheit“ nach den Ursachen, den „Schicksalsfehlern“ für das Geschehene: „Wann fing in uns, bei mir, die Degeneration eines einst großen Gedankens an, in welcher Zeit haben wir uns verraten, in welchem un-wiederholbaren Augenblick ... haben wir enttäuscht...?“ in der „sechsten Nacht“ erfolgt die Antwort darauf. Sich und die Seinen klagt er an: „Die Schweinereien, die wir verübt haben, das war der Hitler in jedem von uns, und es hatte nichts gemein mit unserer Idee von der Menschlichkeit. Auch in mir, auch in uns schlummert die Bestie. In den Jahren des Terrors erwachte sie in uns und tat das Ihre.“

Die erste Liberalisierungswelle zwischen Tau und Frost (1956—59) bescherte der tschechischen Literatur einen bedeutenden Prosaisten, der bis dahin nicht hatte publizieren können. Josef Skvorecki (Jahrgang 1924) begann schon während seiner Hochschulzedt den Roman „Feiglinge“ zu schreiben, der um die Jahreswende 1948/49 abgeschlossen war. Zehn Jahre lang lag das Manuskript bei den Lektoraten, denn in der Zeit des diktatorisch auftretenden Sozialistischen Realismus hatte es niemand gewagt, das Werk zu veröffentlichen. Erst 1958 konnte es erscheinen und wurde als literarisches Ereignis begrüßt. Aber Verbreitung und Übersetzung blieben bis 1964 unterbunden. Skvorecky schildert in seinem Roman, wie in der Woche vom 4. bis 11. Mai 1945 dn der kleinen Stadt Nächod, nahe der tschechischpolnischen Grenze, das Protektorat zerfiel, die Tschechen zögernd ihre Republik wieder aufleben ließen, vor den aus Schlesien zurückflutenden SS-Divisionen verängstigt sich duckten und schließlich die Rote Armee begeistert als ihre Befreier empfingen. Das überaus Originelle daran ist die Perspektive, aus der die Ereignisse gesehen sind. Der eigentliche Erzähler ist der 18jährige Gymnasiast Danny Smificky aus gutem Haus, ein sanfter, sympathischer Träumer, der für sein Leben gern Saxophon bläst und dem nur Musik und hübsche Mädchen etwas bedeuten. Das Buch beginnt mit dem Satz: „Die Revolution wird also auf unbestimmte Zeit verschoben.“ Benno, Mitglied der Jazzband im „Port Arthur“, sagt ihn und erläutert: „... aus technischen Gründen. Sie haben nicht genug Waffen und Schneid, und es gibt noch zuviel Deutsche hier.“ Und das Buch schließt mit den Sätzen: „Ich stand auf, hob feierlich das Saxophon und ließ es zu Ehren des Sieges und des Kriegsendes schluchzen, zu Ehren dieser Stadt und all ihrer Mädchen und zu Ehren der großen, grundlosen, ewigen, dummen, schönen Liebe... aus der orangefarbenen, safrangelben Abendröte im Westen beugte sich ein neues und wiederum sinnloses Leben zu mir herüber, doch es war schön, und ich hob ihm das glänzende Saxophon entgegen und sang und sagte durch seinen vergoldeten Korpus, daß ich es akzeptierte und daß ich alles hinnehmen würde, was da kam.. “.

Das ist purer Hohn gegen das patriotische Maulheldentum und die Widerstandslegende, aber auch gegen den teutonischen Rassenwahn der Okkupanten gegenüber dem tschechischen „Untermenschentum“ (köstlich der Vergleich der „feinen Hierarchie verschiedener Rassenmischungen“ mit den Kaffeemischungen bei Meinl). In dieser Geschichte war die Antwort einer Jugend auf eine brutale Umgebung, auf die Zeit und den Krieg, denn das Leben schien gar nicht so schwierig, gnadenlos, düster. Aus der Perspektive von Dixieland-Jazz und Hollywood-Romantik war einfach alles irgendwie komisch, sogar der Krieg und die Okkupation, eine Folge von Sinnlosigkeiten und Ungereimtheiten, die man kaum oder nur dann wahrnahm, wenn man unmittelbar von ihnen betroffen wurde. Erzählt ist das in einer an Hemingway und Faulkner geschulten plastischen, präzisen Prosa, ohne Tricks, Falschheiten und Aufmachung, wobei der Gymnasiastenjargon, der alles, von den Funktionen gürtel-abwärts bis zu den Vaterlands- und Heldenphrasen mit vollem Munde sagt, ganz neue (sicherlich auch schockierende) Wirkungen für die tschechische Epik erzielt. Es ist kein zorniges, verwirrtes Buch wie die „Sieben Nächte“ Mnackos, sondern ein beachtliches Stück tschechischer Prosa voller lebendiger Rhetorik, heiterer Weisheit und Poesie.

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