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Calderon — heute

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Ia kurzer Aufeinanderfolge brachten das Zü r c h e i Schauspielhaus Calderons „Das Leben ein Traum“, die Kammerspiele München seinen „Standhaften Prinzen“ und das Münchner Residenztheater den „Richter von Zalamea“ heraus. War es Zufall? Oder besteht in unseren Tagen ein echtes Anliegen, den vom Genius Shakespeares so stark beschatteten Spanier wieder hervorzuholen und neu zu inszenieren? Man braucht wohl nicht gerade von einer Calderon-Renaissance zu sprechen, aber gewiß ist wohl: Wir sind heute an einem Punkt angelangt, an dem sich in breiten Publikumsschichten ein starkes Bedürfnis nach Schauspielen mit fester geistiger Position bemerkbar , macht. Die Vergangenheit brachte uns nach dem letzten Kriege viel Desperates, der Mensch wurde von seiner erbärmlichsten Seite her gezeigt, und eine große Gruppe von Bühnenautoren versuchte, uns vorzurechnen, daß in dieser Welt nichts stimme. Um so mehr wurde aber auch die Hoffnung genährt, es möge sich irgendwo erweisen, daß unserer Existenz doch ein tieferer Sinn und der Welt eine innere Ordnung zugrundeliegt. Es lag also nahe, gerade auf den Theaterdichter zurückzugreifen, der — wenn auch zeitlich nach, so doch entwicklungsgeschichtlich vor jenem gewaltigen Shakespeare Hegt, der als Erster das Phänomen „Mensch“ an sich zu studieren begann —, einen Verbrecher wie Macbeth nur um seiner menschlichen Natur willen darstellte, nicht aber mehr in erster Linie um der göttlichen Ordnung willen, in deren Konzept der Mensch zuvor allein verstanden sein wollte. Es soll damit nicht gesagt werden, daß diese Ordnung bei Shakespeare nicht immer noch durchscheine. Aber der große Elisabethaner war doch der erste Dramatiker, der jene phänomenologische Betrachtungsweise praktizierte, die später bis zu Ibsen und Sartre führte, bei welchem bekanntlich eine innere Ordnung der Welt glattweg geleugnet wird.

Indes haben Shakespeare und alle auf ihn folgenden Dramatiker auch unsere Vorstellung vom Theater geprägt, so daß heute eine Calderon-Inszenierung auf gewisse publikumspsychologische Schwierigkeiten stößt.

Heinrich Kochs raumtechnisch und psychologisch im allgemeinen recht kluge Zürcher Inszenierung von „D a s Leben ein Traum“ (mit Will Quadflieg in der Hauptrolle) mußte in dem Augenblick scheitern, da mit Psychologie einfach

nichts mehr auszurichten ist, nämlich in jenen Szenen, da der (gleichsam wie Kaspar Häuser) der Welt von Kind auf ferngehaltene Prinz plötzlich im Handumdrehen die moralischen Gesetze der Herrschaft über ein ganzes Volk handhaben soll. Bruno Hübners Inszenierung des „Standhaften Prinzen“ in den Münchner Kammerspielen, die behutsam auf die Poesie der Calderonschen Dichtung bedacht war, geriet wiederum da in Gefahr, wo die Glaubensfestigkeit des standhaften Prinzen sich in einer gerade für uns Heutige etwas abstoßenden Weise mit territorialen Forderungen eines Staates vermengt. Am wenigsten blieb da noch in Kurt Hör w i t z' brillanter Inszenierung des „Richters von Zalam e a“ im Münchner Residenztheater zu überbrücken; freilich auch schon deswegen, weil dieses Stück von den Calderon-Dramen mit am besten psychologisch motiviert ist.

Es erhebt sich nun die Frage, ob man diesen Schwierigkeiten bei Calderon-Aufführungen nicht doch durch grundsätzliche Mittel entgehen kann. Zunächst möchte ich annehmen, daß es Calderons Werk nur nützlich sein kann, wenn man seine Texte (die übrigens mit ihren vierhebigen Reimzeilen bisweilen unfreiwillig an Wilhelm Busch erinnern) inskünftig noch freier übersetzt, als es bei Eugen Gürster, dem heute bekanntesten Cal-deron-Uebersetzer, der Fall ist. Es würde sich m. E. empfehlen, überhaupt freie Nach d i c h-t u n g e n, nicht bloß gekürzte Uebersetzungen zu verwenden. Eine weitere Bemühung um eine glücklichere Adaptierung Calderons auf deutschen Bühnen würde der szenischen Gestaltung gelten. Da Calderon zumeist nur getypte und nicht individuell nuancierte Menschen auf die Bretter stellt, wäre es ratsam, sich im Szenischen, vor allem aber im Mimischen und im Sprachausdruck noch bewußter vom heute üblichen Naturalismus zu distanzieren. Freilich ist dies auch ein Problem der Schauspielererziehung. Aber vom Regiepult her gesehen ließen sich manche irrealen, gleichnishaften Szenen mit Nutzen den Formen der antiken Tragödie annähern, bei der ja auch die äußere Realität von untergeordneter Bedeutung ist. Kurz, man entferne Calderon bewußter von Shakespeare, ja man entkleide ihn bisweilen seines barocken Geflimmers, um statt der Fülle der Erscheinungen die allen seinen Werken zugrundeliegende Einheit der geistig-sittlichen Ordnung herauszukristallisieren.

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