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Monolog nach Gogol in Salzburg

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In den Kammerspielen des Salzburger Landestheaters fand als österreichische Erstaufführung die Premiere von Nikolai Gogols „Tagebuch eines Wahnsinnigen" statt. Der große russische Dichter hatte das Werk nicht für die Bühne geschrieben. Diese Tagebuchblätter sind in einem seiner Novellenbände enthalten. Offenbar schien ihm, dem genialen Komödienschreiber, der Stoff für die Dramenform ungeeignet. Doch unsere Zeit hat die klassischen Grundgesetze des Dramas in Frage gestellt, und so hatten auch die Autoren der Bühnenfassung, Sylvie Luneau und Roger Coggio, keine Bedenken, die monologische Natur dieser Aufzeichnungen dem Theater nutzbar zu machen. Sie sind dabei auf eine Weise verfahren, die man gelten lassen kann. Abgesehen von den hinzugefügten Regieanweisungen und den gebotenen Kürzungen haben sie den Originaltext nicht verändert. Und da zeigt sich die sinnliche Kraft dieser Prosa. Sie lebt auf der Bühne, sie läßt sich aus epischen Bereichen ohne Umstände in die Sprachwirklichkeit des Dramas verpflanzen, obwohl beide doch verschiedenen Prinzipien gehorchen.

Es geschieht nicht oft, daß man an einem Theaterabend so ganz im Banne des Geschehens und des Wortes steht wie bei diesem Einmannstück, diesem Monstermonolog. Hier muß allerdings auch das Verdienst Gerhard Mörtls, der als der wahnsinnige Tagebuchschreiber Pop- rischtschin fast zwei Stunden lang allein auf der Bühne steht, nach

Gebühr gewürdigt werden. Er demonstriert den Krankheitsverlauf unheimlich glaubhaft. Angefangen von den trivialen Bildern aus einem tristen Beamtenalltag über die ersten Wahnvorstellungen bis zur Flucht aus dem Gefühl unerträglicher Erniedrigung in den Cäsarenwahnsinn und schließlich bis zur völligen Umnachtung, stellt er den Zerfall dieser Seele als unaufhebbare Notwendigkeit dar. Jede innere Regung erhält ihre Entsprechung im mimischen Ausdruck, wird sichtbar in Gang und Gestik. Die Figur wird zur Marionette ihrer chaotischen Phantasie, die, von keinem Korrektiv gesteuert, die Grenzen der Realität nicht mehr wahmimmt und haltlos ins Absurde treibt. Mörtl versteht es kraft seiner schauspielerischen Intelligenz, die Spannung, die sich zwischen der wirklichen und der eingebildeten Welt ergibt, in allen Phasen bis zum Ende festzuhalten. Eine große schauspielerische Leistung, wie man sie auch in den Metropolen des Theaters nicht oft erlebt. Vorzüglich die Musik von Peter Fischer. Ihre motivischen Elemente bestehen aus elektronischen Klangbildern, zwischen welche Reminiszenzen aus Chopin und der russischen Volksmusik glücklich ein- geblendet- sind. Das Bühnenbild stammt von Marianne Frehner; als Regisseur ist Klaus Kessler um fugenlosen Ablauf bemüht. Das Publikum stand tief unter dem Eindruck der Leistung Gerhard Mörtls und rief den Künstler immer wieder heraus.

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