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Vergleiche, Gegensätze

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Genau vierzehn Tage nach der Grazer Uraufführung (Regie: Peter Filzi) kam Gerhard Roths „Lichten-berg“-Stück auch im Frankfurter Theater am Turm (Regie: Wolf gang Wiens) heraus. Was man da zu sehen bekam — in der halben Spieldauer (eine Stunde) — war beinahe ein anderes Stück. Der große Abstand zwischen beiden Inszenierungen fordert über einen bloßen Vergleich zur erneuten Beschäftigung mit der Roth-schen Vorlage. Denn unabhängig von Qualitätskriterien zeigt sich, welch grundverschiedene Interpretationen hier nicht nur möglich, sondern auch durchaus legitim sind. Daß letztlich beide Konzepte nicht ganz überzeugen konnten, spricht nicht von vornherein gegen sie, aber vielleicht für das Stück. Gerade das scheint seinen lebendigen Reiz für das Theater auszumachen; die nächsten Aufführungen unter Horst Zankl am Neumarkttheater in Zürich und von Wolfgang Quetes am Wiener Volkstheater werden es wohl beweisen. Si-

cher ist: mit einer einseitigen Interpretation ist dem schwierigen Text nicht beizukommen. Die vom Autor, der Thematik des Stücks entsprechend angestrebte Traumlogik des Handlungsablaufs entzieht sich der realistischen wie auch der absurden Dramaturgie.

So erzeugte die im Ansatz richtige Stilisierung der Grazer Aufführung (Übersetzung von sprachlichem Nonsens in den Kampf mit den Requisiten) letztlich doch überwiegend Leerlauf: der Text war stellenweise einfach nicht mehr vorhanden, die Handlung unübersichtlich zerdehnt. Im Gegensatz dazu legte der Frankfurter Regisseur Wolfgang Wiens vorrangig Wert auf Tempo und Aktion. Das groteske Element überließ er allerdings dem Maskenbildner; alle Figuren, außer dem „Professor“ und seinem „Ojekt“ waren expressionistisch weiß geschminkt. Dem widersprach dann wieder die überzogen komödiantische bis chargierende Spielweise der Darsteller; der

„Pfarrer“ näherte sich schon fatal dem Schmierenklischee. Da scheint man den Anspruch des Autors auf „vordergründige Unterhaltung“ denn doch etwas zu wörtlich genommen zu haben.

Auch die rein realistische Darstellung des „Objekts“ als geschundene Kreatur, dürfte wohl kaum jene soziale Dimension zeigen, wie sie Gerhard Roth beabsichtigte. Sein, wie des „Professors“ Experimentierfeld ist die Sprache, der Versuch gilt ihr, das „Objekt“ soll sicher nicht nur platte Symbolik verkörpern, indem es auf das schlicht menschliche Mitgefühl des Publikums hin angelegt ist. Es geht hier ja nicht um die mittlerweile sattsam bekannte Sprachlosigkeit des Kroetzschen Milieutheaters, sondern um die organisierte und organisierende von Technik und Naturwissenschaft und deren Fragwürdigkeit. Den klassifizierenden Charakter der Sprache, beim „Pfarrer“ notwendige Grundlage seines Weltbildes, lehnt Lichtenberg für sich gerade ab: „Ich schaudere bei dem Gedanken, die Augen zu öffnen und den Raster meines Weltbildes über meine Wahrnehmungen zu stülpen, nur um irgendwelche Zusammenhänge zu sehen.“

Ein anarchischer Satz wie dieser schließt mehr politische Aktualität ein, als so manches vordergründig engagierte Stück Literatur. Denn die

kann immer nur auf emotionelle Reaktionen, Zustimmung oder Ablehnung bauen, bis zur Verstörung reicht ihre Wirkung selten. Zugleich bezeichnet er auch die Motorik des Bühnengeschehens, er müßte gleichsam als Schlüssel für ein Inszenierungskonzept genommen werden. Eine perfekte Verstörung des Publikums wäre anzustreben; sie dürfte aber weder als artistisches Uberspielen des Textes noch als groteske Verzerrung der Figuren durchschaubar werden. Jede einzelne Spielsituation, wie etwa die Szene zwischen „Professor“ und „Wenzel“ mit den freien Wortassoziationen, müßte für sich das Publikum mitreißen, um dann sofort von der nächsten ebenso in sich stimmig abgelöst zu werden.

Erst wenn der Zuschauer die Umkehrung der gängigen Logik spielerisch mitvollzieht und gar nicht in Versuchung kommt, sich mit den „normalen“ Chargen zu identifizieren, tritt er aus seiner passiven Haltung heraus. Da Gerhard Roth, zuletzt bei seinem Referat während des Literatursymposiums im Steiri-schen Herbst eine sehr bewußte, politische Haltung zur Sprache bewies, müßte ihm an einem solchen Effekt einiges liegen.

Eine kühle Inszenierung, mit quasi selbstverständlicher Dialogführung, die den absurden Teil des Textes deutlich macht, könnte wohl beides: verstören und zum Lachen bringen.

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