6883170-1979_17_02.jpg
Digital In Arbeit

Abkehr vom Lust-und Prestigegott?

Werbung
Werbung
Werbung

Die Autorin ist Psychagogin, Mitherausgeberin des Rheinischen Merkur“ und lebt in Uelzen (Bundesrepublik Deutschland)

Wer in den vergangenen zehn Jahren die Einstellung der Mensch an zur Religion, zumindest in der Bundesrepublik Deutschland, mit wachem Bewußtsein beobachtet hat, darf eine hoffnungs-verheißende Veränderung konstatieren.

Gegen Ende der sechziger Jahre hatte bei uns eine religiöse Gleichgültigkeit, ja bei den jungen Jahrgängen sogar eine erklärte feindliche Einstellung christlichem Glauben und kirchlichen Institutionen gegenüber einen Höhepunkt erreicht. Besonders im protestantischen Norden sank der Kirchenbesuch immer mehr ab, Kirchenaustritte in beiden großen Konfessionen häuften sich, Taufen wurden seltener vorgenommen.

In öffentlichen Veranstaltungen glich es einem Salto mortale, sich zum Glauben zu bekennen oder auch nur den Ausdruck „Gott“ einmal zu erwähnen. Selbst auf dem Evangelischen Kirchentag 1969 in Stuttgart erlebte ich ein scharfes Pfeif- und Buhkonzert, als ich mir bei einem fachlich-psychologisch zentrierten Thema in der Schlußpassage des Vortrags auf den finalen Aspekt Gott hinzuweisen erlaubte. Ein Mensch, der öffentliche Anerkennung genießen wollte, hatte Atheist zu sein - naturwissenschaftlich orientiert, unprätentiös, nonchalant plural.

Wer sich diesem Zeittrend durch ein engagiertes Bekenntnis zum christlichen Glauben widersetzte, wurde auch im Feld seines fachlichen Bereiches für unzureichend, nicht ernst zu nehmend, als „Spinner“ oder als ewig Gestriger etikettiert und ins Out katapultiert - im protestantischen Lager sogar von kirchlichen Publikationsorganen und kirchlichen Amtsträgern lächerlich gemacht und ausgebuht.

Heute gibt es viele Zeichen dafür, daß diese besorgniserregende Baisse vorüber ist. Deutliche Ereignisse dafür waren mir im vergangenen Jahr der Gemeindetag unter dem Wort in Stuttgart auf evangelischer Ebene, zu dem 50.000 Menschen zusammengeströmt waren, und der Katholikentag in Freiburg mit annähernd 100.000 (!) Besuchern.

Nicht die große Zahl allein war ein Fanal, sondern der

Geist, in dem hier Glauben bekundet wurde. Jugendliche erfaßten auf der Straße die Hände der Älteren und zogen mit ihnen zu den Gebetsgottesdiensten. Mittelpunkt: Singen, Beten, Bekennen, brennendes Fragen, Mühen um Glaubensbewußtsein.

Aber nicht nur in den großen geplanten und vororganisierten Veranstaltungen zeigt sich diese beglückende Neubesinnung: Uberall sprießen, auch ohne kirchliche Unterstützung, Glaubens- und Betgemeinschaften, Hauskreise, Kommunitäten und Zirkel mit einem zentral gelebten und engagierten Christentum aus dem Boden.

Was ist geschehen? Was geht hier vor? Ich glaube, sagen zu dürfen, daß viele Menschen die Erfahrung gemacht haben, daß sie mit atheistischen Lebensentwürfen auf ein falsches Pferd gesetzt hatten. Sie sind desil-lusioniert vom Rausch der

Wissenschaftsgläubigkeit, die ihnen vorgaukelte, das Leben auf dem Boden von Positivismus und Machbarkeit bewältigen zu können. Die Gefahren leichtfertiger

Grenzübertretungen, machtberauschter Höhenflüge sind erkennbar geworden.

Die Menschen sind erwacht aus der Fehlvorstellung, das Geld, die egozentrische Freiheit um jeden Preis zum höchsten Wert zu erheben. Viele sind gebeutelt von persönlichem Unglück, das im Zuge dieser Lebenseinstellung über sie hereinbrach. Große Scharen von Menschen begreifen neu, daß es im Christentum Hilfe gibt, die ihnen weder von einer atheistischen Psychologie noch von einer Soziologie oder kommunistischen Utopie geliefert werden können. _

Sie erkennen neu, daß der Mensch sich der Sinnlosigkeit und damit der Depression ausliefert, wenn er meint, einen Schöpfer nicht mehr annehmen zu brauchen. Sie haben zum Teil erprobt, wie wenig der Lustgott, der Genußgott, der Lei-stungs- und der Prestigegott, wie wenig das Ego als das Zentrum der Welt trägt.

Sie erkennen in all ihrem Seelenelend, daß sie der Erlösung bedürftig sind. Mitten im Wohlstand, ja durch sein neues psychisches Elend bedingt, wird Gott als eine un-aufgebbare Instanz plausibel, entsteht neu Verständnis für das große Vorbild des Jesus von Nazareth.

Eins ist nun not: daß die Kirchen ihre Stunde nicht verpassen, daß die Hirten auf dem Posten stehen und Glauben nicht nur verkünden, Messe, Entsühnung nicht nur zelebrieren, sondern sich vor allem auch um übersetzendes Verstehbarmachen der großen Wahrheiten bemühen.

Heute ist es Seelennot, die das Beten wieder lehrt, die erkennbar macht, wie unauf-gebbar, wie praktikabel und lebenssteigernd Christentum im Alltagsleben ist. Dies zu leben und zu lehren, ist zu neuer dringlicher Not-Wendigkeit im wahrsten Sinne geworden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung