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Abt und Dichter

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1972 wurde im Zisterzienserstift Lilienfeld der 200. Geburtstag eines Dichterabtes, des Grillparzer-Freun-

des Johann Ladislaus Pyrker gefeiert. Heuer erschien in vierter (!) erweiterter Auflage, durch 17 treffliche Graphiken Walter Podschwa-deks künstlerisch ausgestattet, der schmale, aber gewichtige Gedichtband des derzeitigen Prälaten Doktor theol. Norbert Mußbacher: „Die lichte Pforte.“ Mußbacher erweist sich — innerhalb der Flut der Lyrik -Konfektionisten — als ein wirklicher Dichter. Nicht als ein Reimeschmied (seine Verse sind alle reimlos), nicht als ein bloßer Gedichtemacher, wohl aber als einer, der Rhythmus und Musikalität beherrscht, wenn er auch weiß „Musik ist ein unfaßbar großes, herrliches, von Gott geschaffenes Reich.“ Die größten Dichter sind nur ein wenig in dieses Reich gedrungen. Mußbacher dringt von äußerlicher Thematik zum inneren Kern vor, dem Wesen, dem In-Begriff des Men-

sehen und der Dinge, hört etwa im „Leichenzug“ im Takt des Trauermarsches: „Jung und alt dem Grab entgegenschreiten“.

Dem Ordensmann ist Gott keine Abstraktion, er sieht im Beten der Mönche „allein nur das Münster als Wirklichkeit stehn“; Gott aber auch als letztgültige Konkretisierung, welche „bewegt die Welt, die Sterne, das All in völliger Stille“.

Die im Universum-Verlag (Wien-St. Pölten) herausgebrachten Gedichte entsprechen fast alle der strengen Forderung des Gedichtes als „dichtester“ Gestalt, Vorgänge und Empfindungen annehmend, wie auf einer Bank in Wien am Ring „Die Gedanken der anderen“. Bei aller Sachlichkeit, ja zunächst scheinbarer Alltäglichkeit, immer ein Blick hinter die Dinge, vielfach ein Bezug, eine Anwendung auf die eigene Person, so in der „Abrechnung“: „Ein Stoß Rechnungen... Doch wie steht es um mich?“

„Aphorismen“, letzte Ringe einer langen Gedankenkette, den Fortschrittsgläubigen, die keine Zeit ha-

ben, zur Gegenantwort: „Keine Zeit haben nur die Toten!“

Vielleicht nichts Aufregendes, Sensationelles, Neues (nach dem Satz der alten Weisen ist bekanntlich alles schon gesagt worden); aber wie es hier gesagt wird, ist's keine Wiederholung des Bisherigen, ist originelle Neu-Schöpfung, die ein unge-hörtes Wort hinzufügt. Ist auf dem dunklen Gang des Lebens, wo wir““' uns blind und mühsam auf Geisteskrücken vortasten, aufklärende, erhellende „Lichte Pforte“. Kein Träumer, ein Mit-Mensch, ein Zeit-Genosse lehrt uns in bestürzender Aktualität den monströsen Satz: „Der Mensch bedient die Maschine.“

Die sogenannten „Lyriker“ jammern oft über mangelndes Interesse an ihren Gebilden und fehlende Kauflust. Man muß aber wahrheitsgemäß zugestehen, daß die meisten durch eine Unzahl belangloser, das eine wirkliche (seltene!) Gedicht geradezu erschlagen. Wer will es schon selbst — als Leser heraussuchen! Mußbacher hält in seinem Duktus auf jeder Seite dieser Kritik stand, wir möchten keine Seite seines Bandes missen, von jeder fühlen wir uns angesprochen, springt der Funke seines Geistes auf uns über. Er will seine Qualität auch nicht durch Vexierbilder beweisen, er besticht durch

Fachlichkeit und Verständlichkeit „Vor allen Fenstern rauscht ein Bach.“

Manche Neuerer lassen heutzutage nur gelten, was die Gesellschafl „verändert“, wir wollen Mußbachers Gedichtband nicht gewaltsam einer solchen Funktionswert zusprechen Wohl aber kommt ihm jene Aufgabe zu, die Solschenizyn jüngst deftnierl hat, in der Wahl und Bewältigung ewiger Themen, ,4er Geheimnisse des menschlichen Herzens und Gewissens, der Begegnung des Lebens mit dem Tod, der Überwindung seelischer Schmerzen“, kurz: christlicher Humanität.

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