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Alles ist anders

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Eine Werbeagentur hat's entdeckt: Wien ist anders. Derzeit erfährt man diesen Umstand in der Bundeshauptstadt allerorten und unter anderem auch dadurch, daß fremdsprachige Gäste schon beim Erreichen der Stadtgrenze in 'ihrem Idiom mit dem bedauernden Satz „Schade, daß Sie uns verlassen müssen“ begrüßt werden.

Eine kreative Plakatiererleistung vermutlich.

Aber davon einmal abgesehen: Anderssein ist ja nichts Neues. Im Gegenteil, es ist zumindest so alt wie die Menschheit.

Das fängt an bei Adam und Eva, wenn ich mir angesichts der argwöhnischen Frau Staatssekretärin diese eingespielte Reihenfolge der Namensnennung erlauben darf. Denn mit einem zweiten Adam hätte der um eine Rippe ärmer gemachte Urvater der Menschen vermutlich nicht viel anfangen können (es sei denn, er wäre „anders“ gewesen).

Dieser zweite, andere, Mensch Eva war Anbeginn jenes uns bekannten Strebens zum Anderen, damalige Zeitzeugen wie Kain und Abel bestätigen es.

Der Pharisäer betet bei Lukas im 18. Kapitel im Tempel: „Gott, ich danke dir, daß ich nicht bin wie die anderen Leute“, was ja mit den zitierten anderen Leuten genaugenommen schon einen Pleonasmus enthält, der das ganze Dankgebet unnütz erscheinen läßt.

Ich weiß schon, nicht unbedingt müssen „die anderen“ „anders“ sein. Die Lateiner haben zwar mit differenzierten Ausdrücken zwischen anders und verschieden vokabularisch unterschieden, doch da andrerseits — Sie merken, man kommt um die andere Seite nicht einmal bei simplen Betrachtungen herum — kein Ei dem anderen gleicht, war dieses penible Auseinanderhalten wider besseres Wissen ebenso überflüssig wie der neutestamentarische Stoßseufzer.

Doch es bedarf nicht der Bibel oder der Geschichte, um die Agentur, der ich als Auftraggeber für die Idee aus diesem Grund keinen luckerten Heller bezahlt hätte, des Plagiats uralten Gedankenguts zu überführen.

Jede Partei, jede Automarke, jede Knackwurst strebt danach, sich von der anderen Partei, von der anderen Automarke, von der anderen Knackwurst abzuheben - durch Anderssein, und sei es nur vorgetäuscht.

Wobei in der gewolltesten Täuschung sowieso ein Stückerl Wahrheit liegt: wirklich gleich ist nichts dem anderen scheinbar Gleichen. Selbst dort, wo es das sein sollte, ja müßte.

Wären etwa alle fünfundvierzig Kugeln des Lottotrichters, auf den Tausende Sonntag für Sonntag gespannt starren, wirklich gleich rund, gleich groß und gleich schwer, müßte sich Sonntag für Sonntag dasselbe Resultat ergeben, vorausgesetzt, auch die aktiv werdende Blasemaschine hätte, was bei präziser Konstruktion ja der Fall sein müßte, Sonntag für Sonntag den gleichen Drall.

• Aber so ist es eben nicht, die Kugeln rollen verschiedenen Gesetzen ihrer unterschiedlichen Gestalt folgend wöchentlich anders, das Gebläse macht irgend etwas anders als sieben Tage zuvor — der Sechser ist ein anderer, gottlob.

Da sogar Zwillinge, diese zur Verwirrung hauptsächlich des Lehrpersonals hervorgebrachte Laune der Natur, zu den Alternativen gehören können, die sich eine Zeitlang bezeichnenderweise durch antikonformistische Uniformen von den anderen unterscheiden wollten, kann der Absolutheit des Andersseins nichts mehr entgegengehalten werden, nicht ohne dabei zu vergessen, daß anders nicht zwingend ein Synonym für besser sein muß.

Anderssein ist, um auf den Punkt zu kommen, sogar das Grundelement jeglicher Ordnung. Es läßt uns einander, unsere Biergläser im Stammbeisel, die Ubergangsmäntel ebendort sowie Gegenden und Schlagersänger unterscheiden und verhindert so das totale Chaos.

Deshalb sind bis dato alle Versuche jeglicher Gleichmacherei gescheitert, ja sie und nicht die Andersartigkeiten sind nach dem Motto „Und willst du nicht mein Bruder sein, so hau ich dir den Schädel ein“ die wahren Ursachen von Kriegen.

Der Unterschied, und sei er noch so klein, lebe daher hoch.

Es bedarf also weder der geringsten Mühen, anders zu sein, noch der insistierenden Hinweise, daß dem irgendwo so ist. Viel wichtiger als die Feststellung, anders zu sein, wären die Zusätze „anders als wer oder was“ und „anders in welche Richtung der wertorientierten Koordinaten“.

Da aber hapert's.

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