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Als Jerusalem 5000 Einwohner hatte

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Als die bekannte verstorbene Archäologin Katlyn Kenyon 1967 die Ausgrabungen nördlich des Tempelberges in Jerusalem abgeschlossen hatte, schien alles unter Dach und Fach. Die für ihre archäologischen Verdienste mit dem britischen Adelstitel „Dame" ausgezeichnete Frau Kenyon stellte fest, daß ihre Vorgänger, Mac Alister und Duncan, die in den zwanziger Jahren behaupteten, daß die hier entdeckte Stadt aus dem kanaanäischen Zeitalter stamme, völlig irre gingen.

Im Gegenteil. Die freigelegten Befestigungen und die außerhalb der Mauer liegenden Häuser stammten aus der Zeit des Zweiten Tempels, aus dem 5. vorchristlichen Jahrhundert.

Doch zehn Jahre nach Kenyons Ausgrabungen beschlossen das Institut für Archäologie der Hebräischen Universität in Jerusalem, die Gesellschaft zur Erforschung des Heiligen Landes und seiner Altertümer sowie der Jerusalem-Fonds, die von Frau Kenyon abgebrochenen Ausgrabungen zu Ende zu rühren. Südlich, westlich und östlich des Tempelberges wurden bereits Ausgrabungen vorgenommen. Nun wollte man auch wissen, was sich wirklich hinter der großen Festungsmauer abgespielt hat, die von Frau Kenyon größtenteils bloßgelegt worden war.

Dr. Igael Schilo, der die Ausgrabungen leitet, berichtet:

„Jerusalem war Ende des 4. Jahrtausends vor Christus ein Dorf, das ähnlich anderen Dörfern einen langsamen Urbanisierungsprozeß durchgemacht hatte. Doch erst, nachdem die damals kanaanäische Stadt Jebus rund 1000 vor Christus von König David erobert worden ist, ändert sich die Position der Stadt. Zur Zeit des Königs David, insbesondere aber zur Zeit seines Sohnes, König Salomons, wird diese Stadt die Hauptstadt des Landes. Doch bleibt die Wirtschaftsbasis der Stadt nach wie vor die Landwirtschaft.

Die BürgerderStadtbearbeiteten ihre Felder tagsüber und kehrten abends in die Stadt zurück. Während König Davids Regierungszeit wird die Stadt in eine obere und eine untere geteilt, eine Tendenz, die von seinem Sohn Salo-mon fortgesetzt wurde. In der oberen Stadt befand sich die Akropolis - der Tempel, die Häuser des Königs und seines Gefolges, der Leibwache und der Beamten, die die Landwirtschaft schon aufgegeben hatten, um ausschließlich in Verwaltungsfunktionen dem König zu dienen. Die gewöhnlichen Stadtbürger wohnten unterhalb der Oberstadt, am Abhang des Berges oder vielleicht sogar im Tal. Insgesamt waren es fünf-bis sechstausend Einwohner.

Jerusalem war allem Anschein nach eine ziemlich reiche Stadt. Wir fanden bei den letzten Ausgrabungen hier mehr Tonkrüge, in denen damals Schätze aufbewahrt wurden, als sonst irgendwo im Land. Die Form der Krüge und Gefäße beweist auch, daß es sich hier um eine hochentwickelte Kultur handelte. Die Stadt Davids und Salomons war von einer Mauer umgeben. Doch diese befand sich wahrscheinlich im Tal."

Unter den Entdeckungen der diesjährigen Ausgrabungssaison, die acht Wochen dauerte und im September abgeschlossen wurde, befand sich ein Wohnhaus mit vier großen Räumen aus der Zeit des Ersten Tempels, ferner eine der ersten Wasserklosettanlagen, die es je gegeben hat, dann ein Ostra-kon (Tonscnerbe) aus dem 8. Jahrhundert, auf dem einige mit Tinte geschriebene Namen zu lesen waren. Der einzige, bisher entzifferte Name heißt Achiel (Bruder Gottes). Darüber hinaus fand man eine Vielzahl von Tonkrügen und Tonscherben, die man nun versuchen will, im Laufe des nächsten Jahres zusammenzusetzen.

Das Jerusalem des Zweiten Tempels ist uns aus den Schriften des Flavius Jo-sephus und anderer Zeitgenossen gut bekannt. Doch gibt es in der Periode des ersten Tempels viele Lücken, die zu füllen ein Ziel dieser Ausgrabungen bildet.

Nur wenige Archäologen wurden hier beschäftigt. Den Großteil der Ausgrabungen besorgten über hundert junge Enthusiasten, die speziell nach Jerusalem gekommen waren, auf eigene Rechnung, oft schon zum zweiten Mal, um an der Wiederentdeckung der Vergangenheit mitzuwirken. Es sind Archäologie- und Theologiestudenten aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Frankreich, England, Italien und Amerika.

Viele waren darunter, die hier einfach in der heißen Sonne einige Wochen ihres Urlaubs verbringen wollten. Teils wohnten sie in Jugendherbergen, einige sogar im mondänen King-David-Hotel. Ein Student aus Amerika sagte: „Den Morgen verbringe ich sechs Stunden bei Ausgrabungen und den Nachmittag im Schwimmbassin des Hotels."

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