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Angst vor dem Triumph

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Wovor fürchtet sich die Menschheit? Daß sie von Bomben, Raketen, Hungersnöten oder Epidemien hinweggerafft werde, daß sie von Computern überrechnet, von Diktatoren geknechtet, von Robotern um ihren Arbeitssinn, von Umweltzerstörern um ihre Natur gebracht werde — und vielleicht auch noch vor der Quellensteuer.

Wovor fürchten sich Katholiken? Vor zu wenig Hoffnung, Glaube, Liebe? Vor Priesterman-

gel, Sekten und Staats-Atheismus? Vor Frauen am Altar, neuen Gesangsbüchern und Basis-Theologen? Das auch. Vor allem aber fürchten sie, daß dieser Katholikentag ein Triumph werde.

Das ist eine ungeheure Gefahr. Sie beizeiten abzuwenden und zu verhindern ist des Einsatzes der besten Kräfte wert. Was werden die Intellektuellen dieses Landes von uns denken, wenn da katholische Massen von einigen Hunderttausend nach Wien kommen und — wie peinlich! — den völlig verfehlten Eindruck eines katholischen Volkes erzeugen, während wir doch längst statistisch wissen, wie belanglos papierene rund 90 Prozent sind, von denen nur knapp ein Drittel die Sache praktisch ernst nimmt?

Am Ende sind da in Wien gar noch Schaulustige dabei („Gem-ma Papst schaun!’ ), oder die sprichwörtliche Begeisterungsfähigkeit der Österreicher läßt sich zum Exzeß hinreißen! Emotionelle Spontanität könnte durchbrechen, am Ende wäre die Exekutive nicht mehr Herr der Lage. Die Boulevardpresse schriebe „Ganz Österreich im Papst-Fieber — Wojtyla wirkt Wunder!"

Es ist daher zu empfehlen, diese Massenaufläufe von vornherein zu verhindern und stattdessen im ORF-Nachtstudio den Papst von Franz Kreuzer über das Thema „Eucharistie — Notwendigkeit oder Luxus im Lichte der Verhaltens-Anthropologie" interviewen zu lassen. Eine Wiederholung am darauffolgenden Vormittag im Schichtarbeiterprogramm wäre allenfalls möglich. • Scharfe Kritik findet auch der bedrohliche optische Aufwand liturgischer Gewänder, welcher mit barocker Pracht das ästhetische Volksempfinden verletzen könnte. Vom musealen Standpunkt aus ist der schädliche Luftzug, wel- . eher beim öffnen von Sakristeischränken und Vitrinen zur Entnahme wertvoller Textilien entsteht, schon aus denkmalschütze-rischen Gründen abzulehnen.

Gegen die Verwendung des weißen Papst-Talars und der vielen Rochetts und Alben bestehen Einwände der Umweltschützer, denn die Reinigung trägt zur Eutrophierung der Gewässer bei. Daß abendliche Veranstaltungen — gleichgültig ob mit Kerzen oder elektrischer Beleuchtung - eine nicht zu verantwortende Energieverschwendung sind, versteht sich.

Der Vorschlag, der Papst möge in einem blauen Overall mit einem der Fremdarbeiterzüge am Wiener Südbahnhof ankommen, wird von der G AK (Gruppe alternativer Katholiken) als besonders verwerflicher Triumphalismus abgelehnt. Die einzige akzeptable Möglichkeit sei ein Ritt von Rom nach Wien, wobei jedoch zu verhindern ist, daß der Wirtschaftsbund dem Papst zu diesem Zweck etwa einen Lipizzaner zum Geschenk macht.

Als alternatives Programm zur Vermeidung von Triumphalismus wäre eventuell ein Bummel des Papstes durch die Fußgängerzone mit kurzem Verweilen an einigen Unterschriften-Ständen und Verkostung von Tee aus der Dritten Welt vorstellbar. Straßendiskussionen könnten das Bild etwas beleben. Anschließend wäre eine kleine Friedensdemo einzuplanen und im Amerling-haus ein Treff mit Avantgarde-Künstlern und Hausbesetzern.

Es komme darauf an, erklärten fortschrittliche Katholiken, diesen Papst-Besuch zum Katholikentag möglichst unauffällig zu gestalten, um die Gefühle der pluralistischen Gesellschaft nicht zu verletzen. Der Einwand der Anti-lärm-Liga gegen das Glockenläu-ten zum Katholikentag ist durchaus berechtigt. In einer Zeit hoher Lärm-Sensibilität könne speziell den Großstädtern eine zusätzliche Phon-Belastung nicht zugemutet werden. Flaggenschmuck erinnere an die Zeiten finsteren Staatskirchentums und habe daher zu unterbleiben. Dagegen könne man sich vorstellen, daß der Papst bei einer Begegnung mit Kleingärtnern einige Bio-Stauden eigenhändig pflanze.

Völlig divergierend sind die

Meinungen darüber, ob auch eine stille Messe mit kurzer Ansprache einen ungebührlichen Triumpha-lismuS darstelle. Die Versuche des Katholikentags-Komitees, welches diesen Programmpunkt als Minimalanspruch bezeichnete, stoßen bei ihrer Durchsetzung auf erbitterten Widerstand. Man sollte auch hier Rücksicht auf die Empfindungen breiterer Schichten nehmen und überlegen, ob es nicht genüge, dem Papst einen Auftritt in der Sendung „Christ in der Zeit" vor den Sonntag-Abend-Nachrichten zu ermöglichen, oder ihm eine Kolumne „Dreißig Zeilen mit Gott" in der Boulevardpresse einzuräumen. Das würde sicher als willkommene Abwechslung akzeptiert und auch von den Medien begrüßt.

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