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Gesundjammerer
Mir tun die „Totengräber der Diktatur” genauso leid, wie die „Hebammen der Demokratie”; beide werden zu „Heiligen” verteufelt, da Dankbarkeit immer nur eine Kategorie der Unterlegenen ist. Seit ich frei denken kann - wie dachte ich nur vorgestern? -, beschäftigen mich (atheistische) Gesundheitsbeter wie (religiöse) Krankjammerer, die Angst vor einem „Paradies auf Erden” haben. Es darf uns - nämlich - nicht zu gut gehen ...
Angeblich, so die Naturwissenschaftler, die sich am liebsten mit Sozialwissenschaften beschäftigen, springen in unseren feschen Genen recht muntere Suizid-Teufelchen umher, die das Schlechte dem Guten genüßlich vorziehen.
Nun, diese Teufelchen, die uns einen (Selbst-)Mordspaß injizieren und suggerieren, lieben, verehren und züchten die Krankjammerer, die ihren beträchtlichen Wohlstandsbauch nur mit Mühe in ihren dicken
Mercedes zwingen können und dem Abendland allmorgendlich „Gute Nacht!” sagen. Mit ihrem Gebot („Gib mir meinen täglichen Abgrund!”) begrüßen die Krankjammerer jedes kleine Wölkchen in der Hoffnung auf Gewitter und Hochwasser. Sympathische Menschen, diese Krankjammerer!
Redeutend mehr Probleme als mit diesen ehrlichen Misanthropen habe ich mit den weitaus undurchsichtigeren Gesundjammerern:
■ Die biologischen Makro(g)nomen, diese Zwerge riesiger Ungenüsse, bieten jeden wurmstichigen Apfel für horrende Summen feil;
■ die jungen Klageweiber stehen jammernd am Totenbett der chemienaschenden Schulmedizin und preisen ihre Naturtröpfchen gegen Asthma und AIDS, Potenzschwäche und Plattfüße an;
■ politische Gesundj ammerer, die beamtenbeleidigend zu „Beschwich-tigungs-Hofräten” postwendend (allerdings nur in der Generaldirektion) befördert werden, finden auch als „Schönwetter-Apostel” alles andere als reißenden Absatz. Hingegen können populistische Publizisten und
Politiker ihre miesen Meldungen immer gewinnbringend absetzen.
Die Gesund)ammerer stehen also recht hoch im niedrigen Kurs der Bevölkerungsgunst. Ihre rosaroten Brillen sind, im Gegensatz zu ihrem psychologischen Wissensstand, recht beschlagen. Diese mehr Balken- als Schiefersehenden verspielen als Warner vor den sich-selbst-erfüllen-den Abgrund-Prophezeiungen
(gleich Karl Marx) auch ihr letztes Kapital: Mit den lächerlich kleinen Zinsen können sie nicht einmal einen Bruchteil der Miete ihrer einst prächtigen Polit-Paläste bezahlen.
Da fällt mir eine bauernschlaue Bürgerweisheit ein: je konsumfeindlicher der Wiener einkauft, desto migrosfreundlicher bedient sich der Bregenzer. - Aber das nur nebenbei.
Trotzdem kann man die Gesund -jammerer nicht ganz aus der uns liebgewonnenen TV-Welt der Krisen und Kriege eliminieren: Als „Buhfrauen” (umgekehrte Gleichberechtigung) werden sie - wenn auch künstlich - am Leben erhalten, um unseren Enkeln zu ermöglichen, von den „guten alten Zeiten” zu schwärmen.
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