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Lob des Sees

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Im Alpenvorland bin ich geboren und Kind gewesen. Seit fast einem Jahrzehnt kehre ich in ein Voralpenstädtchen immer wieder auf Urlaub und Ferien heim. Nichts auf der Erde ist mir vertrauter als die blau- beglänzten Bergesketten über dem erdig gewellten Land. Ich liebe ihre Schönheit so wie die der Berge selbst, deren Taldruck nicht den Bergsteiger ergreift, der sie ja auch von oben kennt. Niemals aber — und darin spielt mein Geburtsort mit — ließ ich mir das dumpfe Entweder-Oder erpressen, mit dem man reicherfüllte Bergwelt von der rein eröffneten der Ebene reißt. Da ist nicht nur die dunkel verschaltet Schlucht oder der breite gnomische Talgrund, um den in bizarrer Runde ungetüme Höcker, Buckeln, Beulen sich verschneiden; da sind Hochtauerntäler und Kalkgebirgskessel, aus denen hinter Schillerscher Erhabenheit, die uns durch physische Vernichtung erst erhebt, die reine Schönheit steigt.

Doch eine Beschränkung meines Empfindens muß ich gestehen. Wie sehr solche Schönheit ergreift, so bleibt sie nicht ohne Sehnsucht, Fernweh, Schwermut, mit dem sie häufig versetzt ist. Ganz getröstet, erheitert, beruhigt, daheim bin ich erst, wo das Wasser hinzutritt. Wahrscheinlich ist es bedeutsam, daß ich an Seen aufwuchs, daß wir von unserer Klasse über das Städtchen hinweg auf die große, wandelnd-berubende Fläche blickten.

Mit allen Sinnen trinkend, fühl ich ganze Sättigung und Stillung erst, wenn die milde Macht des Elements sich durch die große Bildung der Berge schlingt. Und erst seit ich dem Fernen Osten, Lao-tses Lobpreis des Wassers, einen Schritt näherkam, ging mir stärker auch sein Symbolgehalt auf, der eben Milde und Macht ist. Macht in unserem See nicht minder als in dem Meer, das den größeren Teil unserer Erde bedeckt, und Macht in dem Tropfen, der das Gestein höhlt.

Beruhigt spiegelt die Fläche das nahe Gebirge, bewegt erst bildet sie’s ab. Ja, seinerseits wird es von ihm in Starrheit nachgeformt, so wie man nicht umsonst von Wellen des Gebirges spricht. Dann denken wir die Erde in einen verflüssigten Zustand zurück, da sich ja ohne das Schmelzen, will Sagen die Vermittlung unseres Elements, das Feste und Erdige mit Feuer und Luft nur selten begegnet.

Ein wenig bizarr, gleich Wasserspinnen, krakeln Ruderboote über di morgendlich ruhige Fläche, dahinter Fischerzillen, ursprünglich-großartig, noch mit aufrechtstehendem Ruderer. Oh, wir spüren die dunklen Gründe und Klüfte, über die wir gesetzt sind, Und dennoch, so wie das Wasser das Boot und den Schwimmer, auch diese ungeheure Welt — sie trägt uns.

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