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PASSE ICH IN DIE WELT?

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Diese Frage stellt nicht ein Backfisch, der in einer Anwandlung von gefühlsvollem Selbstmitleid seine Existenzberechtigung anzweifelt; auch nicht eine der vielen Frauen, die in oder nach enttäuschter Ehe ihre ganze Bitterkeit und Verzweiflung in diese Frage hineinlegen, .Diese Frag#; kommt seltsamerweise aus dem Mund eines Menschen, der schon durch seine entschlossene Handlung freiwillig aus dieser Welt gegangen ist. Ein Selbstmörder also? — Nein, eine Ordensfrau!

Würde ich die obengenannte Frage einem der vielen Menschen auf der Straße stellen, die Antwort könnte ungefähr so lauten: „Natürlich passen Sie nicht in die Welt! Wenn man die goldene Freiheit so leichtsinnig wegwerfen kann, ist man ja gar nicht wert, sie zu besitzen. Bedenken Sie doch, was Sie sein könnten, wenn Sie diesen bedauerlichen Fehltritt ins Kloster nicht getan hätten! Sie wären jetzt eine elegante, junge Frau, hätten einen Mann, der Ihnen das Leben angenehm (oder sauer!) machen kann, könnten sich Auto, Fernsehapparat, herrliche Kleider nach Pariser Schnitt und vielleicht sogar ein oder zwei Kinder leisten. Statt dessen begraben Sie Ihre Jugend, Ihre geistigen Talente und Ihre frauliche Liebesfähigkeit hinter kahlen, kalten Klostermauern. Schade um Sie, jammerschade!“ Und dazu ein mitleidiges Achselzucken, Kopfschütteln.

Ja, und mit all diesen Argumenten wäre eigentlich meine Frage beantwortet! Oder doch nicht? Darf ich so leicht resignieren, so leichten Herzens auf meinen Platz in der Welt verzichten, nur weil er eben anders besetzt ist, als es sich meine lieben Mitmenschen gewünscht haben? Gewiß, da ist manches an mir, was andere daran hindert, einen lebensnah fühlenden, denkenden und handelnden Menschen in mir zu sehen. Aber — der Polizist trägt seine schmucke Uniform, in der ihn die Welt als Sicherheitsorgan anerkennt; der Schaffner trägt seine blaue Montur, die ihn vor den Menschen legitimieren soll, und ich stecke in meiner einfachen, schwarzen Klostertracht, die mich, wie den Schaffner und Polizisten mahnen soll, daß ich die meinem Stand gemäßen Aufgaben und Pflichten zu erfüllen habe. Oder — der Buchhalter arbeitet und macht Überstunden für seine Familie, für Menschen, die er lieb hat und die ihn brauchen; ich arbeite für Gott, den ich lieb habe und den ich brauche, weil alle Fäden in Seiner Hand zusammenlaufen und ich mich also ganz von Ihm abhängig weiß. Erst durch Ihn und auf Sein Geheiß komme ich wieder auf meinen Platz zurück, den ich ja mitten unter den Menschen beibehalten will. Denn sie brauchen mich auch! Nein, es ist keine Überheblichkeit, wenn ich das so fest und sicher behaupte! Ich habe einmal das schöne Wort gehört, daß kein Mensch den Platz eines anderen ausfüllen könnte, weil kein zweiter dieselben Neigungen und Eignungen von Gott bekommen hat. Mich brauchen die Kinder und die Kranken, die Armen, Alten und Waisen, die Frauen und Mütter, die sich ihr Leid von der Seele reden möchten, die Mädchen der Straße, die eine nie gekannte Nestwärme und Liebe suchen, die Heiden, die mich nicht kennen und doch nach mir rufen, der Bruder, die Schwester hinter dem Vorhang, die eiserner Haß von der Liebe getrennt hat, die Priester, deren Zahl so gering und deren Arbeitsfeld so unermeßlich groß ist, die Reiche und Herrscher und das eigene Land und Volk, das von der wachsenden Großmacht des Satans bedroht ist. Sie alle brauchen mich, den Menschen aus Gott; nicht meinen Leib, mein Wissen und Können, mein Geld (das ich nicht habe!) und selbst nicht so sehr mein Leben; sie brauchen mein Gebet, meine kleinen und großen Opfer, meinen Verzicht auf menschliche Liebe und Geborgenheit und mein Ausharren in Geduld. Bin ich selbst, ist mein tägliches Leben im stillen nicht überaus aktuell und in die Welt hineingestellt? Wird durch diese weltweiten Intensionen mein Beruf nicht zur weltweiten Berufung? Und da sollt' ich nicht in die Welt hineinpassen?

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