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Auch Schriftsteller haben noch zu lernen

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Wissen Sie, ich habe noch nie einen Tontechniker aus der Nähe gesehen und für mich wäre das schon sehr interessant, mit einem Techniker und einem Schauspieler Realisationsmöglichkeiten durchzuprobieren!“ Eigentlich überraschend, daß ein so versierter Autor wie Peter Marginter, von dem schon etliches für den Hörfunk produziert wurde, so wenig über das Wie der Realisation weiß! Vielleicht trägt sein Wohnsitz in London, fernab der heimischen Produktionsstätten, Schuld daran? Vielleicht auch nicht, denn wie sich im Laufe der Diskussionen zeigte, war in den meisten Fällen die Beziehung Autor-Technik nicht existent oder zumindest gestört.

So war denn auch der Entschluß des ORF-Landesstudios Niederösterreich und der Niederösterreichgesellschaft für Kunst und Kultur sehr begrüßenswert, eine dramatische Werkstatt (mit am Tagungsort aufgebautem Studio) zu veranstalten. Sie stand unter dem Titel „Der Hörfunk als Medium für den Autor“. So fanden sich ein -und einander - Autoren (J. A. Boeck, Hermann Gail, Alfred Gesswein, Peter Marginter, Helmut Peschina und Peter Schuster), Rundfunkverantwortliche, Tontechniker und Schauspieler im Dezember für eine Woche auf dem tiefverschneiten Mariahilfberg bei Gutenstein.

Um Kreativität und Kommunikation in besonderem Maße zu fördern, hatte man, und das war das eigentlich Neue an diesem Seminar, zwei erfahrene Gruppendynamikerinnen eingeladen. „Denn wie Schwammerln einen ganz bestimmten Nährboden brauchen, umaus dem Boden zu schießen, brauchen Autoren eine anregende Atmosphäre, um kreativ zu sein“, sagte Johannes Twaroch, Leiter der Abteilung „Kulturelles Wort“ des Landesstudios Niederösterreich, und die beiden Damen versicherten, sie könnten diese Atmosphäre schaffen. Irgendwann geriet ihnen diese ursprüngliche Intention in Vergessenheit, vielleicht hatten sie sie auch nur verdrängt, denn sie spürten überall die Machtverhältnisse, die zwischen den Teilnehmern herrschten, auf und wollten diese bewußt machen, vielleicht sogar abbauen. Da sich jedoch die Autoren sowie die meisten der übrigen Teilnehmer in den herrschenden Machtstrukturen wohl zu fühlen schienen, jedenfalls deren Bewußtmachung nicht notwendigerweise als Voraussetzung für eine Atmosphäre der Kreativität erachteten, war dies ein einseitiges Ansinnen der beiden Damen. Ihre Beobachtungen und Bewußtmachungen stießen immer mehr auf eine Mauer der Ablehnung und oft fühlte man sich in sachlichen Diskussionen durch ihre Einwürfe („Also mir fallt auf, daß Sie schon wieder sehr viel reden, Herr Marboe...“) gestört. Zumindest einen Effekt rief die Gruppendynamik hervor, daß eine an sich sehr inhomogene Gruppe einen äußeren Feind gefunden hatte und gegen diesen enger zusammenrückte. So entstand etwa am ersten Abend bei der Arbeit in Kleingruppen (die Aufgabenstellung lautete: negative und positive Erlebnisse mit dem ORF) ein improvisiertes Minihörspiel, in dem den Gruppentanten“ der Garaus gemacht wurde.

Da die Autoren mehr Zeit zum Schreiben und zum Experimentieren mit den vorhandenen technischen Mitteln forderten, verringerte man die Diskussionen im Plenum und schuf so mehr Raum für die Arbeit in Kleingruppen. Eine dieser Kleingruppen produzierte kurze Texte der anwesenden Autoren (beispielsweise Alfred Gessweins Gedicht über die Stadt, siehe Kasten) in jeweils vier bis fünf Interpretationen, und das Plenum diskutierte sodann die „Richtigkeit“ der einzelnen Fassungen und deren Sendbarkeit im Hörfunk. Als weiteres Experiment wurde ein Kurzhörspiel von Alfred Gesswein in zwei Varianten produziert, wobei einmal der Autor selbst und einmal die Schauspielerin Emmy Werner Regie führten. Interessanterweise stellte sich das Plenum gegen die Interpretationen des Autors, während der Bürgermeister von Gutenstein, als „Laie“, dieser Version den Vorzug gab. In Diskussionen wurden auch Fragen wie diese besprochen: Wie weit könnte man Autoren in den Produktionsprozeß einbeziehen? Wer entscheidet, in welcher Interpretation etwas produziert wird? Wie sind überhaupt die Hörgewohnheiten? Will man diese ändern beziehungsweise beeinflussen?

Aufgrund der aktuellen Erfahrungen, vor allem mit der Gruppendynamik, entstanden unter anderem drei Kurzhörspiele und ein Monolog für eine Schauspielerin. Diese Texte wurden sogleich, unter Mitwirkung der Autoren, für die beiden aus Gutenstein übertragenen Sendungen produziert. Überdies sammelte man auch neue Ideen zur Programmgestaltung, indem jeder Teilnehmer ein Programmschema für einen Tag ö Regional entwarf, die einzelnen Vorschläge diskutiert und den Rundfunkverantwortli* chen ausgearbeitet vorgelegt wurden.

Nach einigen Tagen wurden auch die abendlichen gruppendynamischen Übungen umfunktioniert. Die Techniker stellten neue Realisationsmöglichkeiten, wie Kunstkopf oder Vocoder, vor und erläuterten deren Verwendbarkeit für den Autor.

Ganz allgemein empfanden die Teilnehmer die Ereignisse und Ergebnisse als so positiv, daß der Intendant des Landesstudios Niederösterreich, Emst Wolfram Marboe, eine Fortsetzung des Seminars im Frühjahr in Aussicht stellte. Über Beibehaltung, Umfunktionierung oder Weglassung der Gruppendynamik muß noch diskutiert werden. Einmütig wurde jedoch beschlossen, bereits produzierte Kurzhörspiele als Diskussionsgrundlage heranzuziehen und zu bearbeitende Themen bereits vor dem Seminar mit den Autoren zu besprechen und festzulegen (dies war auch vor diesem Seminar geschehen, doch durch die Aufregung über die Gruppendynamik in den Hintergrund „verdrängt“ worden).

Ebenso wünschenswert wäre es, das nächste Mal die ortsansässige Bevölkerung, also das .Publikum“, mehr als bisher einzubeziehen. Bleibt zu hoffen, daß wenigstens einige der aufgeworfenen Ideen bei den Verantwortlichen nicht in „Verdrängung“ geraten.

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