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Avantgardisten am Draht

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Das internationale Festival des Puppentheaters im Rahmen der Wiener Festwochen mag eine Frage klären helfen: ob volltönende Klassikerverse, moderne Bonmots, Derbheiten und doppelbödige Zeitkritik das Puppentheater noch zur Weltkomödie gedeihen lassen können; oder ob die Leistungsschau mit Perfektion der Marionettenmechanik, mit illusionären Bühnenbildern und unerschöpflich bunten Lichtreserven es nur noch auf das traditionelle Konservierungsunternehmen für Evergreens im Repertoire beschränkt. In Wien vegetiert das Puppenspiel eher im Untergrund oder erfreut sich als Spielreservat ausschließlich kindlicher Einfalt und Begeisterung. Dabei ist es doch noch gar nicht so arg lange her, da hausten in Wien drei echte und berühmte Zauberer: Richard Teschner mit seinem magischen Figurenspiel im Jugendstil, Max Florian, der jahrelang an seiner übergroßen Marionettenbühne baute, und der leibgewaltige, grotesk-philosophisch extemporierende Wladimir von Sas-Zaloziecky mit seinen köstlichen Handpuppen. Nichts davon lebt mehr, es sei denn, daß einige der zauberhaften kleinen Kunstgeschöpfe als Schauobjekte in musealen Vitrinen schlummern.

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Das internationale Festival des Puppentheaters im Rahmen der Wiener Festwochen mag eine Frage klären helfen: ob volltönende Klassikerverse, moderne Bonmots, Derbheiten und doppelbödige Zeitkritik das Puppentheater noch zur Weltkomödie gedeihen lassen können; oder ob die Leistungsschau mit Perfektion der Marionettenmechanik, mit illusionären Bühnenbildern und unerschöpflich bunten Lichtreserven es nur noch auf das traditionelle Konservierungsunternehmen für Evergreens im Repertoire beschränkt. In Wien vegetiert das Puppenspiel eher im Untergrund oder erfreut sich als Spielreservat ausschließlich kindlicher Einfalt und Begeisterung. Dabei ist es doch noch gar nicht so arg lange her, da hausten in Wien drei echte und berühmte Zauberer: Richard Teschner mit seinem magischen Figurenspiel im Jugendstil, Max Florian, der jahrelang an seiner übergroßen Marionettenbühne baute, und der leibgewaltige, grotesk-philosophisch extemporierende Wladimir von Sas-Zaloziecky mit seinen köstlichen Handpuppen. Nichts davon lebt mehr, es sei denn, daß einige der zauberhaften kleinen Kunstgeschöpfe als Schauobjekte in musealen Vitrinen schlummern.

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Ob uns die ausländischen Gäste über den heutigen Stand und die Möglichkeiten des Puppentheaters als vollgültige Kunstfonm neben dem Menschentheater, als Zusatz von eigenwüchsiger künstlerischer Faszination Aufschluß geben werden? (Eröffnet wird die Schau immerhin von dem großartigen Sergej W. Obras- sow, einem Puppenschöpfer und Komödianten vom Schlage Gogols, dessen Werk neben das eines Stanislawski oder Eisenstein gestellt werden kann.) Sie könnten uns zeigen, daß sich das moderne Puppenspiel nicht mehr mit kleinlichen Träumen verschwört, daß es auch energisch sein und sogar Parodien über Militarismus, Bürokratie, Wohlstand liefern kann. Der makabre Gedanke, daß der Mensch an der Schnur zapple, war schon immer erregend. Die Puppe braucht neben Aktion den irrealen Handlungs- raum von Robotern, Homunkuli und Phantomen, jene Welt der Dämonen also, von der wir uns umstellt fühlen.

Nur Typen und Symlbolgestalten duldend, verzichtet die Puppenbühne auf Vortäuschung der Wirklichkeit und die Täuschung des Pathos. So bietet sie sich sowohl dem Realismus wie dem Surrealismus der Gegenwart überzeugend dar. Sie hätte wahrhaftig alle Anlage zu einer moralischen Anstalt unserer Tage, zu einem Versuchsfeld gerade der kühnsten zeitgenössischen Dramatik. Es ist nicht mehr nötig, die Figuren gehen zu lassen, sie können schwe-

ben, springen, sich verwandeln — ein entfesseltes Theater wird Wirklichkeit, das wie kein anderes geeignet ist, den poetischen Gedanken unmittelbar in Bewegung und Bild umzusetzen. Ihm geht es um die absolute Sinnfälligkeit der Erscheinung: ein eiliger Kellner bedient mit sechs Händen; eine Figur trägt zwei Köpfe, den einen sonntags, den anderen alltags; Klatschbasen verbreiten wie Zwitschermaschinen ihre Neuigkeiten in der Stadt; ein Reporter bewegt sich auf seinen Beinen wie auf den Speichen eines Wagenrades; ein Richter stößt wie ein riesiger Spiralfinger auf den Angeklagten nieder; in dem gläserndurchsichtigen Gesicht eines Mädchens werden die Eindrücke und Farben der Umwelt wie in einem Spiegel eingefangen — die Beispiele ließen sich vermehren. Die Marionette, erkennt man, ist nicht dramatisch: schon darum nicht, weil sie den Antrieb des Handelns nicht in sich selbst trägt. Ihre Gebärde ist Zeichen, ihre Erscheinung Bild. Das ist nun schon so fern vom Schauspieltheater, daß es mit diesem nur noch den Dialog gemein hat. Und auch er, meint man, müsse dieser neuen Art zu spielen angemessen sein.

Die Marionette wahrt Distanz sowohl zum Zuschauer als auch zum Dargestellten. Ihre Bewegungen sind nicht „natürlich“. Auch wenn sie nachahmt, verfremdet sie zugleich, sie „zeigt“ also auch das, was sie darstellt. Darin beruht die komische

Wirkung etwa einer Figur, die einen Klaviervirtuosen nachahmt. (Das Prager Marionettentheater Špejbl und Hurvinek hat so eine urkomische Figur im Repertoire.) Die Marionette bildet also nicht ab, sondern verzerrt, um in der Unnatur des Bildes die Natur des Gegenstandes auf neue Weise erkennbar zu machen. Eigentlich verfremdet sie im strengen Sinne der Brechtschen Theorie des Theaters, die vielleicht einen geheimen Bezug zur Marionettenbühne besitzt. Die verfremdete Welt lockt, weil wir uns in ihr von der wirklichen befreien, so daß wir über sie (und über uns) lachen können. Es gibt keine Marionettentragödie (höchstens ein Melodrama), die Heiterkeit des Spiels behält die Oberhand. Wir ton gut, das Puppenspiel ernst zu nehmen, damit wir unseren Spaß daran haben.

Es kann Lehre sein für Zuschauer wie für Schauspieler. Die Marionette trägt ihr Aussehen unverändert durch die Handlung hindurch, das sich allerdings dem Zuschauer nach kurzer Zeit in scheinbar lebendiges Mienenspiel löst. Der Gesichtsausdruck hält so einen Schwebezustand zwischen vielen Möglichkeiten fest, stellt sozusagen einen mimischen Knotenpunkt dar, von dem aus der Weg in viele Richtungen führt. Dabei ist der Zuschauer mehr als nur passiv, er wird Hineinschauer, Zusammenschauer, Mitschaffender; eigenes bewegtes Leiben kommt ihm von der Bühne her aus der Marionette entgegen. Dem Puppentheater haftet immer etwas Unfertiges, Offenes an, das zum Mitdenken und innerlich Mithandeln zwingt.

„Es wäre mir beinahe lieber, wenn nicht Menschen dies spielen würden, sondern große Puppen, von einem, der’s versteht, gelenkt. Sie haben eine grenzenlose Anmut in ihren aufgelösten, leichten Gliedern und mehr als Menschen dürfen sie dabei der Lust und der Verzweiflung selbst sich hingeben und bleiben schön dabei…“ Das schrieb Hugo von Hofmannsthal und wies auf Heinrich von Kleists berübm’ Aufsatz „Uber das Marionettentheater“. Dabei kam es Kleist wahrscheinlich nicht so sehr auf den Gegenstand des Marionettentheaters an als auf eine Erhellung des Verhältnisses zwischen reinem oder naivem und reflektierendem oder geistgebrochenem Leben. Der Mensch hat das Paradies verlassen, das heißt, jene natürliche Unschuld verloren, die noch vor der menschlichen Erkenntnis liegt. Er hat das unbewußte Gleichgewicht — den die naturgesetzliche Schwere überwindenden Gestus der Marionette und damit ihre Anmut und Grazie — einigebiißt. Der aus seinem Lebens-

zusammenlhang heraiusgetretene Mensch ist das Gegenbild zur Marionette. Ihr Mechanismus — Kleist bezeichnte ihn als „antigrav“ und sah darin das höchste Maß an körperlicher Freiheit und Ungezwungenheit — sollte ihn über sich selbst belehren. Sie bewegt sich und tanzt vollkommen aus ihrem Schwerpunkt heraus und zeigt so dem Schauspieler, dem Tänzer, wie er sich vervollkommnen könnte. So wird die Marionette zum Vorbild.

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